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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Grund, so ist mein Tag jetzt ununterbrochen von Aufmerksamkeit und Spannung erfüllt. Ich ertappe mich zum Beispiel beim Remontenreiten, daß ich auf einmal nicht mehr wie früher einem stützigen Pferd mit voller Wucht einen Hieb überdie Kruppe schlagen kann, denn ich spüre schuldbewußt den von mir verursachten Schmerz, und die Strieme brennt mir auf der eigenen Haut. Oder unwillkürlich krampfen sich mir die Finger zusammen, wenn unser cholerischer Rittmeister einem armen ruthenischen Ulanen, der den Sattel schlecht aufgezäumt hat, die geballte Faust ins Gesicht knallt, und der Bursche steht stramm, die Hand an der Hosennaht. Ringsum starren oder lachen blöd die andern Soldaten, ich aber, ich allein sehe, wie unter den beschämt gesenkten Augenlidern des dumpfen Burschen die Wimpern sich feuchten. Mit einmal kann ich in unserer Offiziersmesse die Witze über ungeschickte oder unbeholfene Kameraden nicht mehr ertragen; seit ich an diesem wehrlosen, machtlosen Mädchen die Qual der Unkraft begriffen habe, erregt mich haßvoll jede Brutalität und anteilfordernd jede Wehrlosigkeit. Unzählige Kleinigkeiten, die mir bisher entgangen sind, bemerke ich, seit mir der Zufall diesen einen heißen Tropfen Mitleid ins Auge geträufelt, einfältige, simple Dinge, aber von jedem einzelnen geht für mich Spannung und Erschütterung aus. Es fällt mir zum Beispiel auf, daß die Tabaktrafikantin, bei der ich immer meine Zigaretten kaufe, die hingereichten Geldstücke auffällig nah an die rundgeschliffene Brille hält, und sofort beunruhigt mich der Verdacht, daß sie den Star bekommen könne. Morgen will ich sie vorsichtig ausfragen und vielleicht auch den Regimentsarzt Goldbaum bitten, daß er sie einmal untersucht. Oder es fällt mir auf, daß die Freiwilligen den kleinen rothaarigen K. in der letzten Zeit so sichtlich schneiden, und ich erinnere mich, daß in der Zeitung gestanden hat (was kann er dafür, der arme Junge?), sein Onkel sei wegen betrügerischer Malversationen eingesperrt worden; mit Absicht setze ich mich bei der Menage zu ihm hin und fange ein langes Gespräch an, an seinem dankbaren Blick sofort spürend, daß er versteht, ich tu'snur, um den andern zu zeigen, wie ungerecht und ordinär sie ihn behandeln. Oder ich bettle einen von meinem Zug heraus, dem der Oberst sonst unbarmherzig vier Stunden Spangen aufgebrummt hätte; immer neu und an täglich anderen Proben genieße ich diese plötzlich in mich gefahrene Lust. Und ich sage mir: von jetzt ab helfen, soviel du kannst, jedem und jedem! Nie mehr träge, nie mehr gleichgültig sein! Sich steigern, indem man sich hingibt, sich bereichern, indem man jedem Schicksal sich verbrüdert, jedes Leiden durch Mitleiden versteht und besteht. Und mein über sich selbst erstauntes Herz zittert vor Dankbarkeit für die Kranke, die ich unwissend gekränkt, und die durch ihr Leiden mich diese schöpferische Magie des Mitleids gelehrt.
    Nun, aus derart romantischen Gefühlen wurde ich bald erweckt, und zwar auf die allergründlichste Art. Das kam so: Wir hatten an jenem Nachmittag Domino gespielt, dann lange geplaudert und so angeregt die Zeit verbracht, daß wir alle nicht bemerkten, wie spät es geworden war. Endlich, um halb zwölf, blicke ich erschrocken auf die Uhr und empfehle mich hastig. Aber schon während mich der Vater hinaus in die Halle begleitet, hören wir von draußen ein Summen und Brummen wie von hunderttausend Hummeln. Ein veritabler Wolkenbruch trommelt auf das Vordach. »Das Auto bringt Sie hinein«, beruhigt mich Kekesfalva. Ich protestiere, das sei keineswegs nötig; der Gedanke ist mir wirklich peinlich, der Chauffeur solle einzig um meinetwillen jetzt um halb zwölf sich noch einmal anziehen und den schon abgestellten Wagen aus der Garage herausholen (alles dies Nachfühlen und Rücksichtnehmen auf fremde Existenzen ist völlig neu bei mir, ich habe es erst in diesen Wochen gelernt). Aber schließlich liegt doch gute Verlockungdarin, in einem weichen, gut gefederten Coupé bei solchem Hundewetter bequem heimzusausen, statt eine halbe Stunde lang triefnaß mit dünnen Lackstiefeletten durch die aufgeschlammte Chaussee zu stapfen: so gebe ich nach. Der alte Mann läßt sich's nicht nehmen, trotz des Regens mich selbst ans Auto zu begleiten und mir die Decke umzuschlagen. Der Chauffeur kurbelt an; in einem Schwung sause ich durch das trommelnde Unwetter nach Hause.
    Wunderbar bequem und behaglich fährt sich's in dem lautlos gleitenden Wagen. Aber

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