Ungeduld des Herzens.
weiß es jetzt schon, bricht vor. Mit einmal sitze ich nicht mehr dem reichen Herrn von Kekesfalva gegenüber, sondern einem alten sorgenvollen Mann.
Aber jetzt setzt er räuspernd an: »Herr Leutnant« – die eingerostete Stimme gehorcht ihm noch immer nicht – »ich möchte Sie um einen großen Gefallen bitten ... Ich weiß natürlich, ich habe kein Recht, Sie zu bemühen, Sie kennen uns ja kaum ... übrigens, Sie können auch ablehnen ... selbstverständlich können Sie ablehnen ... Vielleicht ist es eine Anmaßung von mir, eine Zudringlichkeit, aber ich habe vom ersten Augenblick an zu Ihnen Vertrauen gehabt. Sie sind, man spürt das gleich, ein guter, ein hilfreicher Mensch. Ja, ja, ja« – ich mußte eine abwehrende Bewegung gemacht haben – »Sie sind ein guter Mensch. Es ist etwas in Ihnen, das einen sicher macht, und manchmal ... habe ich das Gefühl, als ob Sie mir geschickt wären von ...« – er stockte, und ich spürte, er wollte sagen, »von Gott« und hatte nur nicht den Mut dazu – »geschickt wären als jemand, zu dem ich ehrlich sprechen kann ... Es ist übrigens nicht viel, um das ich Sie bitten möchte ... aber ich rede so weiter und weiter und frag Sie gar nicht, ob Sie mir zuhören wollen.«
»Aber gewiß.«
»Ich danke Ihnen ... wenn man alt ist, braucht man einen Menschen nur anzusehen und kennt ihn durch und durch ... Ich weiß, was ein guter Mensch ist, ich weiß es durch meine Frau, Gott hab sie selig ... Das war das erste Unglück, wie sie mir weggestorben ist, und doch, heut sag ich mir, vielleicht war es besser, daß sie das Unglück mit dem Kind nicht hat mitansehen müssen ... sie hätte es nicht ertragen. Wissen Sie, wie das anfing vor fünf Jahren ... da glaubte ich zuerst nicht dran, daß das lange so bleiben könnte ... Wie soll man sich vorstellen können, daß da ein Kind ist wie alle andern und läuft und spielt undsaust wie ein Kreisel herum ... und plötzlich soll das vorbei sein, für immer vorbei ... Und dann, man ist doch aufgewachsen mit einer Ehrfurcht vor den Ärzten ... in der Zeitung liest man, was für Wunder sie wirken können, Herzen können sie vernähen und Augen umpflanzen, heißt es ... Da mußte doch unsereins überzeugt sein, nicht wahr, daß sie das Einfachste können, was es gibt ... daß sie einem Kind ... einem Kind, das gesund geboren ist, das immer ganz gesund gewesen war, rasch wieder aufhelfen. Deshalb war ich am Anfang gar nicht sehr erschrocken, denn ich glaubte doch nie daran, nicht einen Augenblick glaubte ich daran, daß Gott so etwas tun könne, daß er ein Kind, ein unschuldiges Kind, für immer schlägt ... Ja, wenn es mich getroffen hätte – mich haben meine Beine lang genug herumgetragen. Was brauch ich sie noch ... und dann, ich war kein guter Mensch, viel Schlechtes habe ich getan, ich hab auch ... Aber was, was sagte ich eben? ... Ja ... ja also, wenn es mich getroffen hätte, das hätt ich begriffen. Doch wie kann Gott so daneben schlagen auf den Unrechten, den Unschuldigen ... und wie soll unsereins begreifen, daß an einem lebendigen Menschen, an einem Kind, die Beine plötzlich tot sein sollen, weil so ein Nichts, ein Bazillus, haben die Ärzte gesagt, und meinen, sie hätten etwas damit gesagt ... Aber das ist doch nur ein Wort, eine Ausrede, und das andere, das ist wirklich, daß ein Kind daliegt, auf einmal sind ihm die Glieder starr, es kann nicht mehr gehen und sich nicht mehr regen und man selber steht wehrlos dabei ... Das kann man doch nicht begreifen.«
Er wischte sich heftig mit dem Handrücken den Schweiß von dem angenäßten, verwirrten Haar. »Natürlich habe ich alle Ärzte befragt ... wo nur einer von den Berühmten war, sind wir zu ihm gefahren ... alle habe ich sie mir kommen lassen, und sie haben doziert und lateinisch geredet und diskutiert und Konsilien gehalten, dereine hat das versucht und der andere das, und dann haben sie gesagt, sie hoffen und sie glauben, und haben ihr Geld genommen und sind gegangen und alles ist geblieben, wie es war. Das heißt, etwas besser ist es geworden, eigentlich schon bedeutend besser. Früher hat sie immer flach auf dem Rücken liegen müssen und der ganze Leib war gelähmt ... jetzt sind doch wenigstens die Arme, ist der Oberkörper normal, und sie kann allein an ihren Krücken gehn ... etwas besser, nein, viel besser, ich darf nicht ungerecht sein, ist es geworden ... Aber ganz geholfen hat ihr noch keiner ... Alle haben die Achseln gezuckt und gesagt: Geduld,
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