Ungeduld des Herzens.
Geduld, Geduld ... Nur einer hat ausgehalten mit ihr, einer, der Doktor Condor ... ich weiß nicht, ob Sie je von ihm gehört haben. Sie sind doch aus Wien.«
Ich mußte verneinen. Ich hatte den Namen nie gehört.
»Natürlich, wie sollen Sie ihn kennen, Sie sind ja ein gesunder Mensch, und er gehört nicht zu denen, die von sich viel Wesens machen ... er ist auch gar nicht Professor, nicht einmal Dozent ... ich glaub auch nicht, daß er eine gute Praxis hat ... das heißt, er sucht keine große Praxis. Er ist eben ein merkwürdiger, ein ganz besonderer Mensch ... ich weiß nicht, ob ich's Ihnen recht erklären kann. Ihn interessieren nicht die gewöhnlichen Fälle, nicht, was jeder Bader behandeln kann ... ihn interessieren nur die schweren Fälle, nur die, an denen die andern Ärzte mit Achselzucken vorübergehen. Ich kann natürlich nicht, ich ungebildeter Mensch, behaupten, daß Doktor Condor ein besserer Arzt ist als die andern ... nur das weiß ich, daß er ein besserer Mensch ist als die andern. Ich hab ihn zum erstenmal kennengelernt, damals, bei meiner Frau, und gesehen, wie er gekämpft hat um sie ... Er war der einzige, der bis zum letzten Augenblick nicht nachgeben wollte, und damals hab ich's gespürt – dieser Mensch lebt und stirbt mit jedem Kranken mit. Er hat, ich weißnicht, ob ich mich richtig ausdrücke ... er hat eben irgendeine Passion, stärker zu sein als die Krankheit ... nicht wie die andern bloß den Ehrgeiz, sein Geld zu kriegen und Professor und Hofrat zu werden ... er denkt eben nicht von sich aus, sondern von dem andern her, von dem Leidenden ... oh, er ist ein wunderbarer Mensch!«
Der alte Mann war ganz in Erregung geraten, seine Augen, eben noch müde, bekamen einen heftigen Glanz.
»Ein wunderbarer Mensch, sage ich Ihnen, der läßt niemanden im Stich; für ihn ist jeder Fall eine Verpflichtung ... ich weiß, ich kann das nicht richtig ausdrücken ... aber es ist bei ihm so, als ob er sich jemand schuldig fühlte, wenn er nicht helfen kann ... selber schuldig fühlte ... und darum – Sie werden's mir nicht glauben, aber ich schwör Ihnen, es ist wirklich wahr – das eine Mal, wie ihm nicht gelungen ist, was er sich vorgenommen hat ... er hatte einer Frau, die erblindete, versprochen, er bringe sie durch ... und wie sie dann wirklich erblindet ist, hat er diese Blinde geheiratet, denken Sie sich, als junger Mensch eine blinde Frau, sieben Jahre älter als er, nicht schön und ohne Geld, eine hysterische Person, die jetzt auf ihm lastet und ihm gar nicht dankbar ist ... Nicht wahr, das zeigt doch, was für ein Mensch das ist, und Sie verstehen, wie glücklich ich bin, so jemanden gefunden zu haben ... einen Menschen, der sich sorgt um mein Kind wie ich selber. Ich hab ihn auch eingesetzt in meinem Testament ... wenn einer, wird er ihr helfen, Gott geb es! Gott gebe es!«
Der alte Mann hielt beide Hände zusammengepreßt wie im Gebet. Dann rückte er mit einem Ruck näher heran.
»Und nun hören Sie, Herr Leutnant. Ich wollte Sie doch um etwas bitten. Ich sagte Ihnen schon, was für ein anteilnehmender Mensch dieser Doktor Condor ist ... Aber sehen Sie, verstehen Sie ... gerade , daß er so ein guter Mensch ist, das beunruhigt mich auch ... Ich fürchteimmer, verstehen Sie ... ich fürchte, daß er aus Rücksicht auf mich mir nicht die Wahrheit sagt, nicht die ganze Wahrheit ... Immer verspricht und vertröstet er, es würde bestimmt besser, ganz gesund würde das Kind werden ... aber immer, wenn ich ihn genau frage, wann denn, und wie lange wird es noch dauern, dann weicht er aus und sagt bloß: Geduld, Geduld! Aber man muß doch eine Gewißheit haben ... ich bin ein alter, ein kranker Mann, ich muß doch wissen, ob ich's noch erlebe und ob sie überhaupt gesund wird, ganz gesund ... nein, glauben Sie mir, Herr Leutnant, ich kann nicht mehr so leben ... ich muß wissen, ob es sicher ist, daß sie geheilt wird und wann ... ich muß es wissen, ich ertrag diese Unsicherheit nicht länger.«
Er stand auf, überwältigt von seiner Erregung, und trat mit drei hastig-heftigen Schritten ans Fenster. Ich kannte das nun schon an ihm. Immer wenn ihm die Tränen in die Augen stiegen, rettete er sich in dieses brüske Wegwenden. Auch er wollte kein Mitleid – weil er ihr doch ähnlich war! Ungeschickt tastete zugleich seine rechte Hand in die rückwärtige Rocktasche des tristen schwarzen Jacketts, knüllte ein Tuch heraus; und vergeblich, daß er dann so tat, als hätte er sich nur den
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