Ungeduld des Herzens.
brach die Stille entzwei; gleichsam ermutigt durch dies irdische Geräusch inmitten des geisterhaften Schweigens wandte sich Condor mir mit einer Unbefangenheit zu, die ich nicht erhofft hatte.
»Der arme Kekesfalva! Ich mach mir schon die ganze Zeit über Vorwürfe, ob ich nicht eben zu brüsk mit ihm gewesen bin. Ich weiß natürlich, daß er mich am liebsten noch Stunden zurückgehalten und hundert Sachen gefragt hätte, oder eigentlich hundertmal dasselbe. Aber ich konnte einfach nicht mehr. Es war ein zu schwerer Tag, von früh bis nachts Kranke, und dabei lauter Fälle, bei denen man nicht vorwärtskommt.«
Wir waren unterdessen in die Allee getreten, deren Bäume sich mit schattendem Geflecht gegen das durchsickernde Mondlicht zusammenbuschten. Um so greller leuchtete inmitten der Chaussee der eisweiße Kies, und diese helle Lichtrinne schritten wir beide entlang. Ich warzu respektvoll, um zu antworten, aber Condor schien mich gar nicht zu bemerken.
»Und dann, an manchen Tagen ertrag ich seine Insistenz einfach nicht mehr. Wissen Sie, das Schwere bei unserem Beruf sind gar nicht die Kranken; mit denen lernt man schließlich richtig umgehen, man kriegt eine Technik heraus. Und schließlich – wenn Patienten klagen und fragen und drängen, so gehört das einfach zu ihrem Zustand wie Fieber oder Kopfschmerz. Wir rechnen von vornherein mit ihrer Ungeduld, wir sind darauf eingestellt und gerüstet, und jeder hat dafür gewisse beruhigende Phrasen und Unwahrheiten genau so bereit wie seine Schlafmittel und schmerzstillenden Tropfen. Aber niemand macht unsereinem das Leben so sauer wie die Anverwandten, die Zugehörigen, die sich unberufenerweise zwischen den Arzt und den Patienten schieben und immer die ›Wahrheit‹ wissen wollen. Alle tun sie, als ob momentan nur dieser eine Mensch krank wäre auf Erden und man einzig für ihn sich sorgen müßte, für ihn allein. Ich nehme Kekesfalva sein Gefrage wirklich nicht übel, aber wissen Sie, wenn Ungeduld chronisch wird, läßt einen manchmal die Geduld im Stich. Zehnmal habe ich ihm erklärt, ich hätte jetzt einen schweren Fall in der Stadt, wo es auf Tod und Leben geht. Und obwohl er's weiß, telephoniert er doch Tag für Tag und drängt und drängt und will mit Gewalt sich eine Hoffnung erzwingen. Und gleichzeitig weiß ich als sein Arzt, wie verhängnisvoll diese Aufregung auf ihn wirkt, ich bin ja viel mehr beunruhigt als er ahnt, viel, viel mehr. Ein Glück, daß er nicht weiß, wie schlimm es steht.«
Ich erschrak. Es stand also schlimm! Offen und völlig spontan hatte mir Condor die Auskunft gegeben, die ich von ihm erschleichen sollte. In starker Erregung drängte ich nach:
»Verzeihen Sie, Herr Doktor, aber Sie werden verstehen,daß mich das beunruhigt ... ich hatte doch keine Ahnung, daß es so schlecht steht mit Edith ...«
»Mit Edith?« Condor wandte sich mir ganz erstaunt zu. Er schien zum erstenmal zu bemerken, daß er zu einem andern gesprochen. »Wieso mit Edith? Ich hab doch kein Wort von Edith geredet ... Sie haben mich völlig mißverstanden ... Nein, nein, bei Edith ist der Zustand wirklich ganz stationär – leider noch immer stationär. Aber er macht mir Sorge, Kekesfalva, und immer mehr Sorge. Ist Ihnen nicht aufgefallen, wie sehr er sich in den letzten paar Monaten verändert hat? Wie schlecht er aussieht, wie er von Woche zu Woche mehr verfällt?«
»Ich kann das natürlich nicht beurteilen ... ich habe erst seit einigen Wochen die Ehre, Herrn von Kekesfalva zu kennen und ...«
»Ach so – richtig! Verzeihen Sie ... dann konnten Sie's natürlich nicht konstatieren ... Aber ich, der ich ihn seit Jahren kenne, war für mein Teil heute ehrlich erschrocken, als ich zufällig auf seine Hände sah; ist Ihnen nicht aufgefallen, wie durchsichtig und knöchrig die sind – wissen Sie, wenn man viele Hände von Toten gesehen hat, dann bestürzt einen immer diese gewisse Art bläulicher Farbe an einer lebendigen Hand. Und dann ... seine rasche Rührseligkeit gefällt mir nicht: bei dem geringsten Gefühl werden ihm die Augen feucht, bei dem kleinsten Sich-Ängstigen lischt ihm die Farbe aus. Gerade bei Männern, die früher so griffig und energisch waren wie Kekesfalva, wirkt ein solches Sich-Nachgeben bedenklich. Leider, es bedeutet nichts Gutes, wenn harte Menschen mit einmal weich werden – ja sogar, daß sie plötzlich gütig werden, seh ich nicht gern. Etwas klappt, etwas hält dann innen nicht mehr zusammen. Natürlich ich nehm's
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