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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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herauszukriegen, was Sie eigentlich in dieses Haus zieht. Ich dachte mir, entweder ist das ein sehr – wie soll ich's höflich ausdrücken – ein sehr absichtsvoller Bursche, der sich seine Wolle scheren will, oder wenn er's ehrlich meint, dann muß es ein innerlich sehr junger Mensch sein, denn nur auf junge Menschen übt das Tragische und Gefährliche eine so merkwürdige Anziehung aus. Dieser Instinkt ganz junger Menschen behält übrigens fast immer recht, und Sie haben schon ganz richtig gespürt ... dieser Kekesfalva ist wirklich ein eigenartiger Mensch. Ich weiß ganz genau, was man gegen ihn vorbringen kann, und nur das kam mir, verzeihen Sie, etwas komisch vor, daß Sie ihn als Edelmann bezeichneten. Aber glauben Sie einem, der ihn besser kennt als alle andern hier – Sie brauchen sich nicht zu schämen, daß Sie ihm und diesem armen Kind so viel Freundschaft bezeugt haben. Was immer man Ihnen auch zutragen sollte, darf Sie nicht irremachen; es hat wirklich keinen Bezug zu dem rührenden, dem erschütternden Menschen, der Kekesfalva heute ist.«
    Condor sagte das im Vorwärtsschreiten, ohne mich anzusehen; erst nach einiger Zeit wurden seine Schrittewieder langsamer. Ich spürte, daß er etwas überlegte, und wollte ihn nicht stören. Wir gingen vier, fünf Minuten völlig schweigend nebeneinander, ein Wagen kam uns entgegen, wir mußten zur Seite treten, und der bäurische Kutscher starrte neugierig auf das sonderbare Paar, auf den Leutnant neben dem kleinen, dicklichen, bebrillten Herrn, die da zusammen spätnachts auf der Landstraße schweigend promenierten. Wir ließen den Wagen vorbei, dann wandte Condor sich plötzlich mir zu.
    »Hören Sie, Herr Leutnant. Halb getane Dinge und halb ausgesprochene Andeutungen sind immer von Übel; alles Böse in dieser Welt kommt von der Halbheit. Vielleicht ist mir bereits zu viel über die Lippen gerutscht, und ich möchte keinesfalls, daß Sie in Ihrer guten Gesinnung irritiert werden. Anderseits habe ich Sie schon zu neugierig gemacht, als daß Sie sich nicht bei andern erkundigen würden, und ich muß leider befürchten, daß man Sie nicht sehr wahrheitsgetreu informieren wird. Schließlich bedeutet's doch einen unmöglichen Zustand, daß man auf die Dauer in einem Hause verkehrt, ohne zu wissen, wer die Leute sind – wahrscheinlich könnten Sie's auch in Hinkunft gar nicht mehr mit der alten Unbefangenheit. Wenn es Sie also wirklich interessiert, einiges über unsern Freund zu erfahren, Herr Leutnant, so stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.«
    »Aber selbstverständlich.«
    Condor zog die Uhr. »Dreiviertel elf. Da bleiben uns noch zwei geschlagene Stunden. Mein Zug geht erst um ein Uhr zwanzig. Aber ich glaube nicht, daß sich derlei Dinge gut auf der Landstraße erzählen lassen. Vielleicht wissen Sie irgendwo eine stille Ecke, wo man sich ruhig aussprechen kann.«
    Ich überlegte. »Am besten die ›Tiroler Weinstube‹ in der Erzherzog Friedrich-Straße. Die hat kleine Logen, in denen man ganz ungestört bleibt.«
    »Famos! Wird schon das Richtige sein«, antwortete er und beschleunigte neuerdings seinen Schritt.
    Ohne ein weiteres Wort gingen wir die Landstraße zu Ende. Bald machten die ersten Häuser der Stadt im blanken Mondlicht Spalier, und ein freundlicher Zufall wollte, daß wir in den schon ganz verlassenen Gassen keinem einzigen meiner Kameraden begegneten. Ich weiß nicht warum, aber es wäre mir unangenehm gewesen, hätten sie mich am nächsten Tage nach meinem Begleiter gefragt. Seit ich in jene sonderbare Verstrickung geraten, verbarg ich ängstlich jeden Faden, der einen Zugang weisen konnte in das Labyrinth, von dem ich fühlte, daß es mich in immer neue und geheimnisvollere Tiefen verlockte.
     
    Jene »Tiroler Weinstube« war ein gemütliches kleines Lokal mit einem leisen Stich von Anrüchigkeit. Abseits in einer altertümlich krummen Gasse gelegen, gehörte sie zu einem Gasthof zweiten oder dritten Ranges, der in unseren Kreisen besonders geschätzt war wegen der nachsichtigen Vergeßlichkeit des Portiers, der geflissentlich unterließ, Gäste, die ein Zimmer mit Doppelbett – auch mitten unter Tags – verlangten, mit dem polizeilich vorgeschriebenen Meldezettel zu behelligen. Ein weitere Sicherung der Diskretion für kurze oder längere Schäferstunden bedeutete der wohlberechnete Umstand, daß man, um zu jenen Liebesnestern zu gelangen, nicht den auffälligen Eingang (eine Kleinstadt hat tausend Augen) benützen mußte, sondern

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