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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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raschen Augen zu Kekesfalva hinüber. »Wissen Sie, das beste ist, wir gehen die Sache gleich ehrlich an. Wir brauchen uns doch voreinander nicht zu genieren und können mit offenen Karten spielen. Also ... lieber Freund, sagen Sie mir, bitte, jetzt aufrichtig und klar: habt ihr inzwischen in eurer ewigen Ungeduld einen andern Arzt herangezogen? Hat jemand anderer Edith während meiner Abwesenheit untersucht oder behandelt?«
    Kekesfalva fuhr auf, als hätte man ihn einer Ungeheuerlichkeit beschuldigt. »Aber, um Gottes willen, Herr Doktor, ich schwöre Ihnen beim Leben meines Kindes ...«
    »Schon gut ... schon gut ... nur keine Geschwüre!« unterbrach ihn Condor schnell. »Ich glaube Ihnen auch so. Erledigt, meine Frage! Peccavi! Ich habe halt danebengepatzt – eine falsche Diagnose, das kommt schließlich auch bei Hofräten und Professoren vor. So etwas Dummes ... und ich hätte drauf geschworen, daß ... Na, dann muß da eben was anderes los sein ... aber merkwürdig, sehr merkwürdig ... Sie erlauben doch ...« – er goß sich die dritte Schale schwarzen Kaffees ein.
    »Ja, aber was ist denn mit ihr? Was hat sich verändert? ... Was meinen Sie?« stammelte der alte Mann mit ganz trockenen Lippen.
    »Lieber Freund, Sie machen's einem wirklich schwer. Jede Sorge ist überflüssig, nochmals mein Wort, meinEhrenwort. Wenn etwas Ernstliches vorläge, würde ich doch nicht vor einem Fremden ... pardon, Herr Leutnant, ich meine es nicht unfreundlich, ich meine nur ... dann würde ich doch nicht so vom Fauteuil aus sprechen und dabei so behaglich von Ihrem guten Kognak – es ist wirklich ein ausgezeichneter Kognak – trinken.«
    Er lehnte sich wieder zurück und schloß einen Liderschlag lang die Augen.
    »Ja, das ist schwer, aus dem Handgelenk zu explizieren, was sich bei ihr verändert hat, weil es schon ganz am obersten oder untersten Rand des Erklärbaren liegt. Aber wenn ich zuerst vermutet hatte, ein fremder Arzt habe sich in die Behandlung eingemischt – wirklich, ich glaub es nicht mehr, Herr von Kekesfalva, ich schwör's Ihnen –, so war's, weil heut zum ersten Mal etwas zwischen Edith und mir nicht recht funktionierte – der normale Kontakt war nicht da ... warten Sie ... vielleicht kann ich's deutlicher ausdrücken. Ich meine ... es entsteht bei einer längeren Behandlung unvermeidlich ein gewisser, ein bestimmter Kontakt zwischen dem Arzt und seinem Patienten ... vielleicht ist es sogar schon zu grob, diese Beziehung einen Kontakt zu nennen, was doch im letzten ›Berührung‹, also etwas Körperliches meint. In dieser Beziehung ist Vertrauen sonderbar mit Mißtrauen gemischt, eins spielt gegen das andere, Anziehung und Abstoßung, und selbstverständlich ändert sich diese Mischung von einem Mal zum nächsten Mal – daran sind wir gewöhnt. Manchmal scheint dem Arzt der Patient anders und manchmal wieder dem Patienten der Arzt, manchmal verstehen sie einander mit dem bloßen Blick und manchmal sprechen sie aneinander vorbei ... Ja, höchst, höchst sonderbar sind diese Zwischenschwingungen, man kann sie nicht fassen und noch weniger messen. Am bequemsten erklärt's vielleicht ein Vergleich, auf die Gefahr sogar, daß es ein ganz grober Vergleich wird. Also – dasmit einem Patienten ist so, wie wenn Sie ein paar Tage weg gewesen sind und Sie kommen zurück und nehmen Ihre Schreibmaschine, und sie schreibt scheinbar vollkommen unverändert, sie funktioniert genau so ausgezeichnet, wie sonst; dennoch spüren Sie an einem Irgendetwas, das Sie nicht spezifizieren können, es hat inzwischen ein anderer darauf geschrieben. Oder Sie, Herr Leutnant, merken's zweifellos Ihrem Pferd an, wenn's zwei Tage ein anderer sich ausgeborgt hat. Es stimmt dann etwas nicht im Gang, in der Haltung, es ist Ihnen irgendwie aus der Hand gekommen, und wahrscheinlich können Sie ebensowenig definieren, woran das eigentlich zu merken ist, so infinitesimal klein sind die Veränderungen ... Ich weiß, das sind ganz grobe Vergleiche, denn die Beziehung eines Arztes zu seinen Patienten ist selbstverständlich noch viel subtiler; ich wäre wirklich – ich sagt's Ihnen ja schon – in schwerster Verlegenheit, wenn ich Ihnen erklären sollte, was sich seit dem letzten Mal bei Edith verändert hat. Aber etwas – und das erbittert mich, daß ich's nicht herauskriege – etwas ist los, etwas in ihr ist verändert.«
    »Aber wie ... wie äußert sich das?« keuchte Kekesfalva. Ich sah, alle Beschwörungen Condors vermochten ihn

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