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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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sich heute abend früh zu Bett legen und ein paar Tropfen Baldrian vor dem Schlafengehen nehmen, damit Sie morgen wieder frisch sind. Das ist alles. Schluß der Ordination für heute! Ich rauch noch meine Zigarre fertig, dann trabe ich weiter.«
    »Sie wollen wirklich ... wirklich schon gehen?«
    Doktor Condor blieb fest. »Jawohl, lieber Freund – Schluß für heute! Ich habe heute abend noch einen letzten, etwas abgeschundenen Patienten und dem habe ich einen ausgiebigen Spaziergang verordnet. Wie Sie mich sehen, stehe ich seit halb acht ununterbrochen auf den Beinen, den ganzen Vormittag bin ich im Krankenhaus gesteckt, es war das ein kurioser Fall, nämlich ... Aber reden wir nicht davon ... Dann in der Bahn, dann hier, und grad unsereiner muß sich die Lunge ab und zu auslüften, damit er den Kopf klar behält. Also, bitte, heute nicht Ihr Auto, ich bummle lieber zu Fuß hinein! Es ist ja ein wunderbarer Vollmond. Selbstverständlich will ich Ihnen damit den Herrn Leutnant nicht wegnehmen; der leistet Ihnen, wenn Sie trotz ärztlichen Verbots durchaus aufbleiben wollen, gewiß noch etwas Gesellschaft.«
    Doch sofort erinnerte ich mich meiner Mission. Nein, erklärte ich eifrig, ich müsse morgen besonders früh meinen Dienst antreten, ich hätte mich ohnehin schon längst empfehlen wollen.
    »Nun, wenn's Ihnen recht ist, marschieren wir zusammen hinein.«
    Jetzt leuchtete zum erstenmal ein Funke in Kekesfalvas aschfarbenem Blick auf: Der Auftrag! Die Frage! Die Erkundigung! Auch er hatte sich erinnert.
    »Und ich gehe gleich schlafen«, sagte er mit unvermuteter Nachgiebigkeit, verstohlen dabei mir hinter Condors Rücken zublinkend. Die Mahnung war unnötig, ichspürte ohnedies die Pulse meiner Hand heftig an der Manschette. Ich wußte, jetzt begann mein Auftrag.
    Unwillkürlich blieben Condor und ich, kaum daß wir aus dem Haustor getreten waren, auf der obersten Stufe der Treppe stehen, denn der Vorgarten bot einen erstaunlichen Anblick. Während der Stunden, die wir erregt in den Zimmern verbracht hatten, war es keinem von uns in den Sinn gekommen, aus dem Fenster zu schauen; nun überraschte uns eine vollkommene Verwandlung. Ein riesiger Vollmond stand reglos, eine blank geschliffene Silberscheibe, inmitten des völlig ausgestirnten Himmels, und indes die vom sonnigen Tag erhitzte Luft uns sommerlich umschwülte, schien gleichzeitig dank jener blendenden Strahlung ein magischer Winter in die Welt gefahren. Wie frisch gefallener Schnee schimmerte der Kies zwischen dem gradgeschnittenen Spalier, das mit seinen schwarzen Schatten den offenen Weg flankierte; spiegelnd bald im Licht und bald in Dunkelheit wie Mahagoni und Glas, standen die Bäume in atemloser Erstarrung. Nie kann ich mich erinnern, das Mondlicht dermaßen gespenstisch empfunden zu haben wie hier in der völligen Ruhe und Reglosigkeit des im flutenden Eisglanz ertrunkenen Gartens; ja, derart täuschend war die Bezauberung des scheinbar winterlichen Lichts, daß wir unwillkürlich zögernd den Fuß auf die schimmernde Treppe setzten, als wäre sie glitschiges Glas. Aber da wir nun die schneeig schummrige Kiesallee entlangschritten, waren wir plötzlich nicht mehr zwei, sondern vier, die da gingen, denn vor uns streckten sich, vom überscharfen Mondlicht genau herausmodelliert, unsere Schatten. Wider Willen mußte ich die beiden beharrlichen schwarzen Gefährten beobachten, die als wandernder Schattenriß jede unserer Bewegungen vorauszeichneten, und es gewährte mir – unser Gefühl istja manchmal merkwürdig kindisch gesinnt – eine gewisse Beruhigung, daß mein Schatten länger, schlanker und ich möchte fast sagen »besser« war als der dickliche und kleine meines Begleiters. Ich fühlte mich durch diese Überlegenheit – ich weiß, daß es ziemlichen Mut fordert, eine derartige Einfältigkeit sich selbst einzugestehen – etwas geistert in meiner Sicherheit; von den sonderbarsten Zufälligkeiten wird doch allezeit die Seele bestimmt, und gerade die winzigsten Äußerlichkeiten stärken oder mindern oft unseren Mut.
    Wortlos waren wir bis zur Gittertür gelangt. Um sie zu schließen, mußten wir notwendigerweise zurückblicken. Wie mit bläulichem Phosphor gestrichen leuchtete die Front des Hauses, ein einziger Block blanken Eises, und derart vehement blendete das überschwengliche Mondlicht, daß man nicht unterscheiden konnte, welche der Fenster noch von innen beleuchtet waren und welche von außen. Erst der harte Zuschlag der Türklinke

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