Ungeheuer
prüfte der Mann die Jalousien vor seinen Küchenfenstern. Alles dicht. Kein Licht konnte hinaus, kein neugieriger Blick herein.
Er schritt zu seinem Untersuchungstisch und knöpfte dabei den Laborkittel zu. »Doctor Nex – wir können beginnen.«
Grellweiß wurde der Neonschein der beiden Stehlampen vom kalten Metall der Tischoberfläche reflektiert. Die Flüssigkeit in den Schraubgläsern vibrierte leicht. Nex, necis – lateinisch »Mord« oder »Tod« – diesen Titel hatte er sich in einem begnadeten Moment selbst verliehen. »Doktor Tod« reckte die Arme nach vorn, um die Handgelenke vom Stoff des Kittels zu befreien. Sauber nebeneinander lagen die Instrumente und warteten auf ihren Einsatz.
Tagsüber war dies ein ganz normaler Esstisch, bedeckt mit einem rot-weiß karierten Tuch und vier Stühlen darum. Nachts verwandelte sich die biedere Küche in ein Untersuchungslabor. Wie sehr wünschte er sich, einmal eins seiner Objekte komplett hier erforschen zu können. Den allerersten Schnitt hier zu setzen, in aller Ruhe, beim hellen Schein der Lampen! Es musste ein unvergleichliches Vergnügen sein,
das Farbspiel von bleicher Haut und Eingeweiden unter diesen Bedingungen bewundern zu können. Doch die Gefahr, beim Transport einer Leiche im Auto entdeckt zu werden, war leider viel zu groß. Aber vielleicht würde sich später irgendwann einmal eine Gelegenheit bieten. Bis dahin musste er wohl oder übel mit der Untersuchung kleiner »Souvenirs« in seiner Küche vorliebnehmen.
Vorsichtig griff der Mann nach dem ersten Schraubglas, zog es zu sich heran und öffnete den Deckel. Der beißende Spiritusgeruch enthielt jetzt eine neue Nuance: einen Hauch von Metzgerladen, einen Anklang von rohem Fleisch. Die Flüssigkeit hatte sich rötlich eingetrübt. Mit einem Gluckern tauchte die Pinzette in den rosafarbenen Alkohol und haschte nach dem eingelegten Objekt, ließ es dann über der Öffnung abtropfen und drapierte es anschließend in der Sezierschale.
Er rollte mit dem Stuhl so dicht an die Schale heran, dass die Tischkante in seinen Bauch einschnitt, und beugte den Oberkörper weit nach vorn, um das Stückchen Haut aus der Nähe zu betrachten. Außen schimmerte es bläulich weiß. Der dunkle Bereich in der Mitte hatte eine fast perfekt kreisrunde Begrenzung zum umgebenden Gewebe. Dunkel zeigte das Auge der Brustwarze nach oben. Die Ränder des Forschungsobjektes waren leicht gewellt. Und die natürliche braunrote Farbe des Objektes schien ausgeblichen. Vielleicht wegen des hochkonzentrierten Alkohols.
»Media in vita in morte sumus«, murmelte der Mann, » – mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen.« Niemand antwortete ihm. Er war ganz allein mit seinen Trophäen. Jetzt würde er auch die anderen vier aus ihren Glasgefängnissen befreien und dann mit der Präparation beginnen.
Er wollte ein Kunstwerk schaffen, etwas, was die Welt noch
nicht gesehen hatte. Die Verknüpfung menschlicher Unvollkommenheit mit nichtorganischen Materialien.
Nicht so einen Pfusch, wie ihn dieser Edward Theodore Gein, »Ed« genannt, damals in den Fünfzigern in den USA abgeliefert hatte – überall im Haus verteilte, schlecht gesäuberte und miserabel präparierte Teile ehemals menschlicher Körper. En Gürtel aus Brustwarzen, Sitzbezüge für Korbsessel, Gesichtsmasken, Armbänder und eine Weste aus der Haut eines weiblichen Rumpfes. Das alles lag überall herum und stank. En Teilchen hier, ein Teilchen da. Das war Stümperei gewesen, Flickwerk. Doctor Nex konnte das besser. Zärtlich glitt sein Blick über die Schraubgläser. Er hatte sich gründlich informiert, wie man Fleisch, Haut und Fell konservieren konnte, ohne dass es stank oder verweste. Schließlich lag sein Medizinstudium schon ein paar Jährchen zurück. Er würde üben, seine Kunst verfeinern und der Beste werden. En wahrer Meister.
Die beste Vorgehensweise wäre sicher die Plastination nach Gunther von Hagens. Der Forscher hatte eine Methode entwickelt, ganze Menschen so zu konservieren, dass sie weder rochen noch irgendwann zerfielen. Leider konnte ein Laie dies nur ungenügend nachahmen. Es scheiterte schon am Gefrieraustausch, von der Vakuumimprägnierung ganz zu schweigen. Im Netz fand der geneigte Sucher jedoch auch einfachere Techniken, und die benötigten Chemikalien konnte man leicht über den Internetversandhandel bestellen. Doctor Nex hatte sich für die Polyethylenglykol-Methode entschieden, bei der man die zu imprägnierenden Präparate einfach
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