Ungezaehmte Leidenschaft
spätabends außer Haus, wenngleich nie so spät wie heute.«
Virginias Worte verrieten ihm, dass ihr die Vorstellung fremd war, jemand könnte ihres späten Heimkommens wegen in Sorge sein.
»Warum arbeiten Sie nachts?«, fragte er.
»Die in den Spiegeln verborgene Energie ist nachts meist stärker und lässt sich leichter deuten. Nötigenfalls kann ich in einem mit Vorhängen verdunkelten Raum arbeiten, ziehe es aber vor, meine Analysen abends vorzunehmen. Dann kann ich die Dinge deutlicher sehen.«
»Das war mir nicht klar.« Sein Interesse war geweckt. »Auch mein Talent ist nachts stärker ausgeprägt, ich bin konzentrierter. Ich frage mich, ob es damit zu tun hat, dass die Sonnenenergie fehlt. Vielleicht stören diese Energieströme gewisse paranormale Wellenlängen.«
Sie sah ihn an. »Ich weiß, dass Sie und Ihre Kollegen bei Arcane eine geringe Meinung von uns, die wir unseren Unterhalt mit unseren Talenten verdienen, haben. Sie halten die überwiegende Mehrheit von uns für Scharlatane. Ebenso ist mir klar, dass die Tatsache meiner häufigen Abendauftritte mein Ansehen in Ihren und den Augen der Society nicht hebt. Ich möchte klarmachen, dass es mich keinen Deut kümmert, was Sie oder die arroganten Arcane-Mitglieder von mir und meinen Kollegen am Leybrook Institute halten.«
»Miss Dean, Sie haben Ihrer Meinung über mich und die Society bereits Ausdruck verliehen. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich nicht Mitglied bei Arcane bin.«
»Warum waren Sie dann mit der Gruppe sogenannter Forscher, die meine Talente auf die Probe stellen wollten, bei meiner Sitzung im Hause Pomeroy anwesend?«
»Das ist eine lange Geschichte. Sie sind erschöpft. Sie brauchen Ruhe und Zeit, um sich von den Anstrengungen dieser Nacht zu erholen. Ich verspreche Ihnen, dass Sie am Morgen alles erfahren.«
Sie ging darauf nicht ein. »Sie haben Ihren Kragen riskiert, um heute nach mir zu suchen. Warum?«
»Das sagte ich schon. Ich wollte Sie im Auge behalten, da ich glaubte, dass Sie in Gefahr schwebten, wenngleich ich die Situation, in der ich Sie heute antraf, nicht voraussah. Ich suchte in einer anderen Richtung.«
»Sie sagten, Sie seien kein Mitglied der Arcane.«
»Arcane ist mein Klient.«
»Ihr Klient?« Sie war perplex. »Sie arbeiten für die Society?«
»Gegenwärtig führe ich Ermittlungen für Jones & Jones durch, Arcanes neue psychische Ermittlungsagentur. Vielleicht hörten Sie schon von ihr.«
Ihr Kinn spannte sich. »Ja, ich hörte Gerüchte über eine neue Agentur.«
»Sie billigen sie nicht?«
»In meiner Welt argwöhnt man, dass J&J uns, die wir unsere Talente beruflich nutzen, die Ausübung unmöglich machen will. Arcane ist der Meinung, dass jene, die ihre psychischen Talente zu praktischen Zwecken ausüben – vor allem Mitglieder des Leybrook Institute –, die wissenschaftliche Erforschung paranormaler Phänomene in Verruf bringen.«
»Weil es unter euch so viele Scharlatane gibt und diese Betrüger die Öffentlichkeit täuschen und in die Irre führen. Das verstehe ich. Aber im Moment hat J&J es vor allem mit wirklich gefährlichen psychischen Kriminellen zu tun. Glauben Sie mir, wenn ich sage, dass Caleb und Lucinda Jones, die Direktoren von J&J, sich nicht mit Medien, Veranstalterinnen von Séancen und anderen betrügerischen Scharlatanen abgeben.«
»Abwarten.«
»Ich verstehe ja, dass Sie Arcane nicht trauen, aber ich brauche Ihre Hilfe. Ich jage einen Mörder, Virginia, einen, der in Ihrer Welt agiert.«
»Was reden Sie da?«
»Zwei Spiegellicht-Deuterinnen kamen kürzlich ums Leben. J&J beauftragte mich mit den Ermittlungen.«
»Was kümmert J&J der Tod von zwei Spiegel-Deuterinnen? Die Polizei zeigte wenig Interesse. Die glaubt nicht einmal, dass Mrs. Ratford und Mrs. Hackett ermordet wurden. Niemand glaubt es. Die Behörde kam zu dem Schluss, dass beide Frauen eines natürlichen Todes starben.«
»Sie aber vermuten, dass es nicht der Fall ist, oder?«
Sie zögerte. »Ja.«
»J&J glaubt es auch nicht und ich ebenso wenig. Wie gesagt, das ist eine lange Geschichte, und es ist spät. Morgen werde ich alles erklären. Mein Wort darauf.«
»Ich lasse mich jetzt nicht ohne nähere Erklärungen abspeisen, Sir. Sie sagten, Sie ermitteln im Auftrag von Arcane im Fall der zwei Ermordeten. Welches Talent besitzen Sie, das Sie zu einer solchen Arbeit befähigt?«
»Sagen wir mal, Sie kamen der Wahrheit sehr nahe, als Sie zu Becky sagten, ich sei eine Art Privatermittler.
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