Ungezaehmte Nacht
sich ohne seine Hilfe in den Sattel. Ihr Rücken protestierte gegen die Behandlung, aber der Schmerz in ihrem Herzen war viel schlimmer. Sie hielt das Gesicht von den anderen abgewandt und war sogar dankbar für den Schnee, der wenigstens die Tränen verbergen würde, die in ihren Augen glitzerten. Ihre Kehle brannte vor Bedauern und vor Zorn, vor allem aber auch vor Kummer.
Entschlossen stieß sie ihrem Pferd die Stiefel in die Flanken und galoppierte los, um den Palazzo und dessen Herrn weit hinter sich zurückzulassen. Ihre Eskorte würdigte sie keines Blickes und tat, als wären die Reiter nicht da. Die Löwen brüllten weiter protestierend, doch der immer schneller fallende Schnee half ein wenig, das Geräusch zu dämpfen. Isabella war bewusst, dass die Männer und Pferde äußerst nervös waren. Löwen jagten doch in Rudeln, oder nicht? Schlagartig wich alle Luft aus Isabellas Lunge.
Wenn dies nicht das schreckliche Geheimnis war, welches das Tal so gut bewahrte!
So viele der treuen Anhänger der Vernaduccis waren ausgesandt worden, um dieses Tal in den Alpen zu finden, aber nie zurückgekehrt. Es ging das Gerücht, dass Don DeMarco über eine Armee von Raubtieren verfügte, die seinen Schlupfwinkel bewachten. Jagten sie sie schon? Das Verhalten der Pferde ließ jedenfalls darauf schließen, dass Raubtiere in der Nähe waren. Isabellas Herz schlug noch heftiger.
Don DeMarco hatte sich seltsam verhalten, aber er würde doch bestimmt nicht so verärgert über sie sein, dass er sie tot sehen wollte. Was hatte sie getan, was ihren Hinauswurf aus dem Kastell rechtfertigte? Sie hatte den Don nicht gebeten, sie zu heiraten; er war es gewesen, der darauf bestanden hatte. Sie war bereit gewesen, für ihn zu arbeiten, und hatte ihm ihre Loyalität und Dienste angeboten. Wenn er es sich nun anders überlegt hatte und doch keine Ehefrau wollte, würde er dann so grausam sein, sie in den Tod zu schicken?
Isabella blickte zu dem Hauptmann der Wache hinüber und versuchte, seinen Grad an Besorgnis einzuschätzen. Seine Gesichtszüge waren hart und wie versteinert, doch er trieb die Reiter zu schnellerem Tempo an, und es war unübersehbar, wie schwer bewaffnet alle Männer waren. Isabella hatte schon Männer wie diesen Hauptmann gesehen. Lucca war ein solcher Mann. Seine Augen glitten ruhelos über ihre Umgebung, und er saß im Sattel wie darin festgewachsen, aber er ritt wie jemand, der Schwierigkeiten erwartete.
»Werden wir gejagt?«, fragte Isabella, nachdem sie ihr Pferd neben das des Hauptmannes gelenkt hatte. Sie täuschte Ruhe vor, doch sie würde nie ganz den Anblick jenes Löwen vergessen oder seinen hungrigen Blick, der auf sie gerichtet gewesen war.
»Ihr seid sicher, Signorina Vernaducci. Don DeMarco hat uns befohlen, Eure Sicherheit über alles andere zu stellen. Wir verspielen unser Leben, falls wir ihn enttäuschen sollten.«
Und dann verstummten die Löwen urplötzlich. Die darauf folgende Stille war unheimlich und noch Furcht erregender als das entsetzliche Gebrüll. Isabellas Herz pochte schmerzhaft gegen ihre Rippen, und sie spürte den Geschmack von Panik auf der Zunge. Der Schnee wehte in großen, dichten Schleiern herab, verwandelte die Welt in ein jungfräuliches Weiß und erstickte das Trappeln der Pferdehufe auf dem Fels. Tatsächlich hatte Isabella noch nie Schnee gesehen, bis sie in diese Berge gekommen war. Er war eisig kalt und nass an ihrem Gesicht, blieb in ihren Wimpern hängen und verwandelte Männer und Pferde in seltsam blasse Kreaturen.
»Wie ist Euer Name?« Isabella musste eine Stimme hören, das Schweigen nahm ihr allen Mut. Irgendetwas lief bei jedem Schritt, den die Pferde taten, lautlos neben ihnen her. Ab und zu glaubte sie, eine Bewegung wahrzunehmen, aber sie konnte sich nicht vorstellen, was es sein könnte. Die Männer ritten jetzt in dicht geschlossener Formation.
»Ich bin Rolando Bartolmei, Signorina .« Er deutete auf einen zweiten Mann, der ganz in ihrer Nähe ritt. »Und das ist Sergio Drannacia. Wir waren unser ganzes Leben bei DeMarco, schon als Jungen. Wir waren Kindheitsfreunde. Er ist ein guter Mann, Signorina «, sagte er und sah sie an, als legte er großen Wert darauf, dass sie das verstand.
Isabella seufzte. »Ich bin sicher, dass er das ist, Signore .«
»Musstet Ihr so schnell aufbrechen? Der Sturm wird sich bald wieder verziehen, und ich kann Euch versichern, dass unser Tal sehr schön ist, wenn Ihr ihm nur eine Chance gäbt.« Hauptmann Bartolmei
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