Ungezaehmte Nacht
der sich in eine regelrechte Raserei hineinsteigerte, trieb Eisplatten vor sich her, die auf der Erde aufschlugen und sie mit weißen Kristallen bedeckten. Bevor die Tür geschlossen wurde, stellte Isabella blitzschnell einen Fuß in den Spalt, steckte die eiskalten Hände in die Taschen und holte tief Luft, um ihr Zittern zu beruhigen. »Nun, dann wird er es sich anders überlegen müssen. Ich werde ihn sehen. Ihm bleibt gar keine andere Wahl.«
Der Diener stand mit unbewegter Miene da und starrte sie an. Er trat weder zur Seite, noch öffnete er die Tür weiter, um Isabella Einlass zu gewähren.
Sie weigerte sich, den Blick von ihm abzuwenden und den warnenden Stimmen nachzugeben, die sie anschrien wegzulaufen, solange sie es noch konnte. Der Sturm hatte inzwischen seine volle Kraft erreicht; der heulende Wind schleuderte sogar in den Schutz des überdachten Eingangsbereiches Eisstückchen, die sich wie Speere anfühlten. »Ich muss mein Pferd in Ihren Stall bringen. Bitte zeigen Sie ihn mir sofort!«, verlangte sie mit trotzig vorgeschobenem Kinn und starrte den Diener an, bis er den Blick abwandte.
Der Mann zögerte, schaute über die Schulter in das dunkle Innere des Hauses und schlüpfte dann hinaus, wobei er leise die Tür hinter sich schloss. »Sie müssen diesen Ort verlassen. Schnell!«, flüsterte er. Seine Augen waren unruhig, seine knotigen Hände zitterten. »Gehen Sie, solange Sie es noch können!« Verzweiflung lag in seinem flehentlichen Blick. Seine Stimme war kaum mehr als ein Wispern, das im Heulen des Sturmes fast unterging.
Isabella konnte sehen, dass seine Warnung ehrlich gemeint war, und ihr Herz geriet vor Furcht fast völlig aus dem Takt. Was war so schrecklich in dem Haus, dass dieser Mann sie lieber in einen eisigen Schneesturm hinausschickte, um ihr Leben in dieser unwirtlichen Natur aufs Spiel zu setzen, statt sie eintreten zu lassen? Seine vorher noch so ausdruckslosen Augen waren jetzt voller Beklommenheit. Isabella musterte ihn einen Moment und versuchte, seine Motive zu ergründen. Er strahlte eine ruhige Würde und sehr viel Stolz aus, aber sie konnte auch seine Furcht riechen, die wie Schweiß aus seinen Poren drang.
Die Tür öffnete sich einen Spalt, nicht mehr, und der Diener versteifte sich. Eine ältere Frau streckte den grauhaarigen Kopf hinaus. »Betto, der Herr hat gesagt, sie soll hereinkommen.«
Der Diener schien für einen winzigen Moment in sich zusammenzusacken und tastete nach dem Türrahmen, um sich daran festzuhalten. Doch dann verbeugte er sich tief vor Isabella. »Ich werde mich persönlich um Euer Pferd kümmern«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme.
Isabella blickte zu den hohen Mauern des Palazzos auf, der eine regelrechte Festung war mit seinen großen, hohen, massiven Türen. Sie hob das Kinn und nickte dem älteren Mann zu. » Grazie , dass Sie sich meinetwegen so viel Mühe machen.« So viel Mühe, mich zu warnen. Die unausgesprochenen Worte hingen zwischen ihnen in der Luft.
Der Mann zog eine Augenbraue hoch. Sie war ganz offenbar eine Aristokratin. Frauen wie diese bemerkten einen Diener für gewöhnlich nicht einmal. Er war verblüfft, dass sie ihn nicht für seine Lüge tadelte und zu verstehen schien, dass er nur verzweifelt versuchte, ihr zu helfen. Sie zu retten. Er verbeugte sich erneut, zögerte leicht, bevor er sich dem eisigen Sturm zuwandte, und straffte dann ergeben die Schultern.
Isabella war kaum über die Schwelle getreten, als ihr Herz in jäher Panik wie wild zu pochen begann. Ein drückender Gestank nach etwas Bösem durchzog das Kastell wie eine düstere, graue, von purer Niedertracht durchdrungene Wolke. Isabella holte tief Luft, um sich zu beruhigen, und sah sich um. Der Eingangsbereich war sehr geräumig, und überall standen brennende Wachsstöcke, um den Burgsaal zu erhellen und die Dunkelheit zu vertreiben, von der Isabella einen kurzen Eindruck erhalten hatte. Als sie eintrat, fuhr ein Windstoß den Gang hinunter, und die Flammen flackerten auf zu einem makabren Tanz. Ein hasserfülltes Zischen begleitete den Wind. Ein hörbares, bestätigendes Zischen. Was immer es auch war, erkannte sie ebenso sicher, wie Isabella es erkannte.
Das Innere des Palazzos war von makelloser Sauberkeit. Weite, offene Flächen und hohe, gewölbte Decken vermittelten den Eindruck einer Kathedrale. Eine Reihe mächtiger, mit kunstvollen Schnitzereien von beflügelten Wesen bedeckter Säulen erhob sich bis zu den hohen Decken. Isabella konnte
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