Ungezaehmte Nacht
verschlungen, im Wohlstand und in schweren Zeiten. Von dieser Zeit an bis heute hat der jeweilige Don DeMarco die Herrschaft über die Löwen behalten und das Tal vor Eindringlingen beschützt. Einige sagen, ein großer Schleier aus Nebel und Magie bedecke das Tal und verberge es vor allen, die versuchen könnten, es zu erobern. Von jener Zeit bis heute hat jedoch kein DeMarco ohne Schmerz, Verrat und Tod geliebt.« Sarina zuckte mit den Schultern. »Doch wer weiß schon, was Wahrheit und was erfunden ist?«
»Nun, das ist auf jeden Fall die traurigste Geschichte, die ich je gehört habe, aber sie kann unmöglich wahr sein. Es hat doch sicher auch glückliche Ehen im Hause DeMarco gegeben«, sagte Isabella und versuchte angestrengt, sich zu erinnern, was sie über den Namen DeMarco gehört hatte. Lucca hatte ihr oft Geschichten über die Bergfestungen erzählt. Geschichten, um den Kindern Angst vor einem Löwenmann zu machen, der ganze Armeen bekämpft und Legionen von Raubkatzen in die Schlacht geführt hatte. Geschichten von Verrat und grausamen Toden.
»Glückliche Ehen halten nicht immer«, erwiderte Sarina traurig. »Aber kommt, lasst uns von anderen Dingen sprechen! Ich werde Euch den Palazzo zeigen, wenn Ihr wollt.«
Isabella versuchte noch ein paar Mal, der Wirtschafterin weitere Einzelheiten zu entlocken, doch Sarina wollte kein Wort mehr zu dem Thema »Löwen und Mythen« sagen. Im Laufe des Tages dachte Isabella oft an Don DeMarco, der ganz allein dort draußen im Schnee war. Niemand sprach darüber oder erwähnte ihn auch nur. Im castello herrschte emsige Geschäftigkeit, da fast alle Dienstboten daran arbeiteten, die großen Säle und unzähligen Räume sauber zu halten. Isabella hatte noch nie eine solche Pracht und einen solchen Wohlstand in einer Burg gesehen, und wieder einmal wunderte sie sich über die Fähigkeit des Dons, seine Ländereien zu bewahren, obwohl so viele Invasoren es immer wieder schafften, andere Ländereien und Festungen zu erobern.
Mit Sarina und Betto nahm sie ein stilles Abendessen ein, obwohl die Wirtschafterin sich sichtlich unwohl fühlte angesichts Isabellas Beharrens, mit ihnen zu speisen. Betto sagte wenig, aber wenn, war er sehr höflich und charmant. Später am Abend zog Isabella sich auf ihr Zimmer zurück, trank die ihr angebotene Tasse Tee und erlaubte Sarina, ihr den Rücken noch einmal mit der schmerzlindernden Salbe einzureiben. Die Wirtschafterin verbrachte viel Zeit damit, Isabellas Haar auszubürsten und es wieder neu zu flechten, wahrscheinlich jedoch einfach nur, um abzuwarten, bis ihr Schützling müde wurde. Deshalb gähnte Isabella mehrere Male und erhob keinen Protest, als ihre Schlafzimmertür von außen abgeschlossen wurde. Stattdessen legte sie sich hin und wartete auf Francesca, in der Hoffnung, dass das Mädchen kommen würde, sobald es im Haus still wurde.
Das Geheul begann etwa eine Stunde später, zusammen mit leisem Stöhnen und Kettenrasseln. Die Geräusche schienen von dem Gang vor Isabellas Zimmer zu kommen, und sie blickte gerade noch stirnrunzelnd zur Tür, als Francesca plötzlich fröhlich am Fußende des Bettes erschien.
Isabella lachte überrascht. »Ihr müsst mir verraten, wo der geheime Eingang ist«, begrüßte sie das junge Mädchen. »Er könnte sich bestimmt noch als sehr nützlich erweisen.«
»Es gibt mehr als einen«, erwiderte Francesca. »Warum seid Ihr so plötzlich weggeritten? Ich hatte schon befürchtet, Ihr gingt für immer fort und ich würde Euch nie wiedersehen.« Zum ersten Mal wirkte die junge Frau ein wenig verdrossen und beleidigt.
»Es war ganz gewiss nicht meine Entscheidung, bei einem solchen Schneesturm fortzureiten«, verteidigte sich Isabella. »Ich hatte in meinem ganzen Leben noch keinen Schnee gesehen, bevor ich hierherkam.«
»Wirklich?« Francescas dunkle Augen blitzten auf vor Interesse, als sie Isabella den Kopf zuwandte. »Und? Gefällt er Euch?«
»Er ist kalt«, stellte Isabella entschieden fest. »Sehr, sehr kalt. Ich habe so gezittert, dass meine Zähne klapperten.«
Francesca lachte. »Meine Zähne klappern auch immer. Aber als ich klein war, bin ich manchmal auf einem Stück Leder den Hang hinabgerutscht. Das macht Spaß. Ihr solltet es einmal versuchen.«
»Ich bin nicht mehr klein, Francesca, und dass es mir Spaß machen würde, glaube ich eher nicht. Als mein Pferd mich abwarf und ich im Schnee landete, war er keineswegs so weich, wie ich gedacht hatte. Wenn der Schnee fällt,
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