Ungezaehmte Nacht
wirkt er flauschig, doch auf dem Boden ist er mehr wie das Wasser eines zufrierenden Teichs.«
»Einmal habe ich mir Häute um die Schuhe gebunden und versucht, darauf zu schlittern, aber dabei bin ich ganz schön hart gefallen.« Francesca lachte bei der Erinnerung. »Ich habe es niemandem erzählt, doch meine Beine waren eine Woche lang ganz blau und schwarz.«
»Wer veranstaltet eigentlich all diesen Lärm?«, fragte Isabella neugierig, weil das Heulen und Stöhnen ihr heute noch lauter als gewöhnlich vorkam. »Stört das niemanden?«
»Ich glaube, alle ignorieren sie aus Höflichkeit. Ich sage ihnen immer, sie sollen damit aufhören und dass dieser Unsinn niemanden beeindruckt, aber sie hören nicht auf mich. Sie halten mich offenbar noch für ein Kind«, antwortete Francesca empört. »Doch im Grunde wollen sie sich dadurch nur wichtigmachen, glaube ich.« Dann sah sie Isabella aus unschuldigen dunklen Augen an. »Hattet Ihr schon mal einen Geliebten? Ich hatte noch nie einen, und ich habe immer einen gewollt. Denn hübsch genug bin ich doch, oder nicht?«
Isabella setzte sich vorsichtig auf, um ihren Rücken zu schonen, und zog die Decke über ihre Knie. Francesca war eine erstaunliche Mischung zwischen Frau und Kind. »Ihr seid nicht nur hübsch, sondern eine sehr schöne junge Frau, Francesca«, versicherte sie ihr und fühlte sich viel älter und sehr mütterlich dabei. »Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen. Ein gut aussehender Mann wird kommen und darauf bestehen, dass Ihr ihn heiratet. Wie könnte ein Mann Euch widerstehen?«
Sofort erhellten sich Francescas Züge, und sie strahlte Isabella an. »Wird Nicolai Euer Geliebter sein?«
Isabella begann sich plötzlich für die Nähte an der Daunendecke zu interessieren. »Ich weiß nichts über Geliebte, da ich noch nie einen gehabt habe. Ich habe nur einen Bruder, einen sehr gut aussehenden, von dem Don DeMarco sagte, er würde herkommen. Er heißt Lucca.«
»Diesen Namen habe ich immer schon gemocht«, gestand Francesca. »Ist Euer Bruder wirklich so gut aussehend?«
»Oh ja! Und wenn er ein Pferd reitet, ist er einfach umwerfend, Francesca. Das sagen alle Frauen. Ich kann es kaum erwarten, ihn Euch vorzustellen.« Isabella lächelte bei dem Gedanken. Francesca könnte genau die richtige Person sein, um Lucca über die kommenden Monate zu bringen, weil sie schön, humorvoll und sehr liebenswürdig war. »Er ist krank und war lange in den Verliesen von Don Rivellio eingesperrt. Seid Ihr Rivellio schon einmal begegnet?«
Francesca schüttelte den Kopf. »Nein, und ich glaube auch nicht, dass ich das möchte. Wird Nicolai Euren Bruder retten?«
Isabella nickte, aber tief im Innersten zog sich ihr das Herz zusammen. Sie hatte Nicolai DeMarco ganz allein im Sturm stehen lassen. Der Wind hatte geheult und ihn in dichten weißen Schnee gehüllt, und sie hatte nicht mehr für ihn getan, als ihm seinen Umhang zuzuwerfen. Sie hätte ihn nicht im Stich lassen dürfen.
»Ihr seht plötzlich so traurig aus, Isabella«, bemerkte Francesca. »Doch glaubt mir, es besteht kein Grund zur Sorge. Wenn Don DeMarco versprochen hat, Lucca hierherbringen zu lassen, wird er es auch tun. Er ist ein Mann, auf dessen Wort man sich verlassen kann. Ehrlich. Er lebt für seine Ehre und sein Wort. Ich habe noch nie gehört, dass er es je gebrochen hat.«
»Kennt Ihr ihn gut?«, fragte Isabella neugierig, weil ihr plötzlich zu Bewusstsein kam, dass sie nichts über die Familie DeMarco wusste. Alles an Francescas Erscheinung wies darauf hin, dass sie eine Aristokratin war, und sie musste auf jeden Fall alle Intrigen des Palazzos kennen. Isabella vermutete, dass sie eine Verwandte war, höchstwahrscheinlich eine Cousine Nicolais.
Francesca zuckte mit den Schultern. »Wer kann den Don schon kennen? Er regiert und sorgt für unseren Schutz, doch niemand speist mit ihm oder spricht mit ihm.«
»Aber natürlich tun die Leute das!« Isabella war entsetzt über die absolute Unbekümmertheit in Francescas Stimme. »Mein Vater war auch der Don, und selbstverständlich speiste und plauderte er mit uns. Niemand will allein sein, nicht einmal der Don.«
Francesca schwieg eine Zeit lang. »Doch es ist schon immer so gewesen. Er bleibt bis zum Abend in seinen Gemächern, und dann werden im Palazzo alle eingeschlossen, damit er sich frei bewegen kann, ob drinnen oder draußen. Er sieht niemanden. Seine Besucher werden in seine Gemächer gebracht, um mit ihm zu sprechen, aber er selbst
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