Ungleiche Paare
herrschsüchtig für das bescheidene Städtchen. Der Innenhof hatte die Größe eines Fußballfeldes, nebst Loggien mit Platz für Trainerstab und Ersatzbank. Früher hatten Burgfräulein hier ihre Ritter beklatscht und ihnen nach dem Turnier den Schweiß abgeleckt. Jetzt hallten die Arkaden wider vom Lärm einer Schulklasse, die zur Besichtigung ökologischer Schautafelnim Seitenflügel verdonnert war. Die Parkplätze vor dem Haupttrakt waren verwaist.
»Man kennt uns nicht«, bedauerte die junge Aushilfskraft in der ehemaligen Wachstube, jetzt Museumsshop. Außer Eintrittskarten hatte sie Reiseführer und Postkarten im Angebot, drei Sorten regionaler Obstbrände sowie Püppchen in Thüringer Tracht; eine würde ich für Josephine erwerben. Sie sollte abends im Bett damit spielen.
»Zum Gothaer Liebespaar gehen Sie in den Hof und rechts durch den Bogen die Treppe hinauf. Im ersten Stock bitte klingeln. Das Aufsichtspersonal hört Sie. Ihnen ist bekannt, dass wir zurzeit eine Sonderausstellung zum Thema ›Ungleiche Paare‹ haben?« Es war uns unbekannt. »Ist im Preis inbegriffen.« Dann mussten wir wohl.
Bei dem Liebespaar handelte es sich um ein Gemälde. So viel hatten wir mitbekommen. Plakate mit einer ausgeblichenen Reproduktion prangten an den Schlossmauern und erhoben das Werk zum Pilgerziel für Bildungstouristen. Offenbar war es das Highlight der fürstlichen Sammlungen und mit etwas Glück das Einzige, wovon wir der Tante Bericht erstatten mussten.
Ein abgenutztes Treppenhaus ließ ahnen, dass hier in sozialistischen Zeiten eine Behörde amtiert hatte. Angeblich das Standesamt. Die doppelt mannshohe Tür im ersten Stock war zerkratzt, womöglich von gehärteten weiblichen Fingernägeln. Die Farbe um den Klingelknopf war abgeschabt. Heiraten musste etwas Dringliches gewesen sein. Ich war erst jetzt, mit zweiundfünfzig, dazu bereit. In meiner Generation war das Heiraten aus der Mode gekommen. Jetzt war es wieder normal. Und ich war bereit, normal zu werden. Fast.
Nach ergebenem Warten öffnete uns ein Vietnamese. Er war noch keine dreißig, trug ein Polyesterhemd des Gothaer SV, Radlerhosen und Turnschuhe. Doch laut Ansteckschild war er Angestellter der fürstlichen Museen. Ob wir ihn wohl später nach einem Asia-Restaurant fragen könnten, Thailänder am besten? Er prüfte stumm, ob wir die Eintrittskarten gefälscht hatten, und hub plötzlich unaufgefordert zu einem Vortrag an, mit thüringischem Akzent. Es kamen allerlei Jahreszahlen und Fürsten darin vor, auch Gemächer, Gobelins und Intarsien, schließlich war von Schwammbeseitigungsmaßnahmen die Rede, am Ende sogar von der Klimaerwärmung und Kohlendioxid-Emission. Das hing alles zusammen.
Zum Überdenken unserer Verantwortung waren wir nun entlassen in die sogenannte Kirchgalerie, einen breiten Korridor, durch den einst das Fürstenpaar zum Gottesdienst gerauscht war. Wo war das Liebesgemälde? Von Wänden und Nischen grüßten goldschimmernde Heilige, Altartafeln, Kruzifixe, versteinerte Märtyrer. Sonnenabweisende Vorhänge tauchten die Figuren in weihevolle Dämmerung. Fern, am Ende des Korridors, kam Bewegung in eine notdürftig restaurierte Skulptur mit rotem Helm. Sie erhob sich. Es war eine Wärterin.
»Langsam gehen, ab und zu innehalten und Interesse vortäuschen«, ermahnte ich Josephine. »Sonst können sie böse werden.«
»Ich brauche nichts vorzutäuschen, ich finde das alles sehr interessant«, schnippte sie, etwas zu laut für eine Wandelhalle, in der verdächtige Personen von zwei Wärtern und sechs Videokameras beaufsichtigt werden. Ich nickte der heranschiebenden Dame versöhnlich zu. Siewar dem Pensionsalter nahe und hatte die Locken noch einmal richtig feurig gefärbt, ein schöner Kontrast zum Blattgold der Galerie.
Mit störrischer Hingabe widmete Josephine sich nun jedem Heiligen und jeder devoten Stifterfigur, jedem Wundertätigen auf Goldgrund und Gekreuzigten vor düsterem Himmel, all den Trauernden und lichtwärts Fahrenden, für die sie zuvor nie Interesse gezeigt hatte. Mit vierundzwanzig, meinte ich, sollte sie ihre schlimmste kulturelle Phase hinter sich haben. Oder begann die erst jetzt? Kam sie dann noch als Partnerin in Frage?
Ich übte mich in der Gehmeditation, die ich vor Jahren in einem Zen-Haus an der oberen Donau erlernt hatte (linke Faust, von rechter Hand umschlossen, vor dem Oberkörper, Unterarme parallel zum Boden, langsam Fuß vor Fuß). Dann im Besichtigungsschritt, den die Unesco für
Weitere Kostenlose Bücher