Ungleiche Paare
Sie hätte sich diskret zurückziehen können zu ihrem fernöstlichen Liebhaber vom Sportverein. Sollten wir sie noch etwas fragen? Ein Kommentar zum Bild hing an der Wand.
»Sie sagen ›Liebespaar‹«, bot ich an, »also nicht Ehepaar?«
Josephine war nah an das Gemälde getreten. Sie hatte eine Innigkeit entdeckt, deren Rätsel sie lösen wollte. Ich blieb unverrückbar vor dem einzig niederträchtigen Bild des Raumes.
»Es ist das Musterbeispiel eines ungleichen Paares«, belehrte uns die Aufseherin. »Der Graf und das einfache Mädchen. Früher nannte man so etwas Mesalliance. Aber soweit wir wissen, war es eine glückliche Verbindung. Eine sehr glückliche.«
Man glaubte das zu erkennen. Der goldlockige Mann, lorbeerumkränzt, blickte zärtlich zu seiner Frau. Sie war das Aschenputtel. Er hatte sie aufs Schloss geholt. Nun senkte sie unter goldbestickter Haube bescheiden den Blick. Beide waren nicht mehr ganz jung; dafür schienen sie über die Liebe Bescheid zu wissen. Er fingerte von hintennach ihrer Brust. Sie drehte auf zweideutige Weise an einer roten Quaste seines Gewandes. Gut, dass der Maler das Paar mit dem Nimbus von Heiligen gesegnet hatte.
»Er hat sie auf sein Schloss geholt, aber nicht geheiratet«, entnahm ich der Texttafel.
»Das war unmöglich, weil sie nicht ebenbürtig waren, aber er hat sie geliebt und über den Tod hinaus versorgt«, erzählte die Rote, als handelte es sich um ihre Großmutter. »Deshalb sind die beiden ein Symbol der Liebe jenseits von Konventionen.«
»Jenseits des Anstands?«
»Und heute«, setzte sie fort, »pilgern Liebespaare aus aller Welt hierher. Zu uns aufs Schloss. Und viele geben sich vor diesem Bild das Jawort.«
»Ach, hier kann man heiraten?«, staunte Josephine, die mit weichem Blick an dem Märchenpaar hing.
»Der Standesbeamte kommt hierher, in diesen Saal«, bestätigte unsere Gouvernante. »Gegen ein Aufgeld. Das bieten wir an, in Zusammenarbeit mit der Stadt.« Das war ihr Schlusswort. Sie wandte sich zum Gehen.
»Vielleicht kommen wir darauf zurück«, verabschiedete ich sie.
»Ach«, fiel ihr jetzt auf. »Sie verdecken ein wichtiges Bild. Wenn Sie eben beiseitegehen – das Beispiel ist unverzichtbar in der Reihe der ungleichen Paare.«
»Tatsächlich?« Es war mir unmöglich, mich umzuwenden. »Ja, es ist das erste. So etwas wie ein Klassiker. Sie stehen direkt davor.«
»Ach, wirklich?«
»Drehen Sie sich doch mal um! Der Greis und das junge Mädchen.«
Gleichheit ist nie genug
Den Schlossberg von Gotha hat der Teufel aufgeschüttet. Sogar das Landesamt für Archäologie hat diese Tatsache nach intensiven Bodenanalysen bestätigt. Von drei Erhebungen, die in mitteldeutschen Sagen als Venusberge angesehen werden, konnte man bislang zwei identifizieren. Der Gothaer Schlossberg ist, nach allem, was man jetzt gefunden hat, der dritte. Ihn umwebt die Leidenschaft eines ungleichen Paares.
Riesen und Teufel sind von jeher als Baumeister engagiert und dann um ihren Lohn geprellt worden. Auch in Gotha planten die Stadtältesten, den Teufel zuerst anzustellen und dann übers Ohr zu hauen. Der Betrug war glücklicherweise oder, wie ehrbare Zeugen sagen, entsetzlicherweise nicht nötig.
Den Berg hat einer der heidnischen Fürsten aufschütten lassen, im Mittelalter, Ludwig der Eiserne. Er meinte, sein Schloss müsste die Stadt überragen. Dazu fehlte der Berg. Ihn herkömmlich aufzuschichten hätte die Lebenszeit selbst eines gusseisernen Fürsten überdauert. Nur ein Riese wäre zum Bau in der Lage gewesen. Oder der finstere, behaarte, widderhörnige, langschwänzige Herrscher der Wollust. In Hellas war dieser Meister Pan genannt worden. Im Christentum hatte man ihn zum Teufel gekrönt.
Den also beschwor der greise Sterndeuter des Fürsten zur Mitternacht. Und der Düstere kam.
Was verlangte er für die Errichtung des Schlossbergs? Nichts Geringeres als die jüngste Tochter des Herzogs.
Ludwig gab vor, Bedenkzeit zu brauchen; er müsse mit sich ringen. In Wahrheit war seine Intrige schon fertig. Er willigte ein. Der Wilde ging an die Arbeit.
Unterdessen ließ der Fürst eine hübsche Bauernjungfer aufgreifen und prächtig einkleiden. Als wenig später der Schlossberg pompös in den Himmel ragte, pochte der Glutäugige fordernd ans Tor. Der König, heuchlerisch seufzend, führte die verkleidete Bauerntochter heran: »Da, so nimm sie denn hin, Ungnädiger, Ruchloser, nimm meine kostbare Tochter!«
Schon wollte der Wüstling mit der
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