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Ungleiche Paare

Titel: Ungleiche Paare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
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beinahe in meinen Armen! Ich zog sie. Wie konnte sie sich diesem Magnetismus überhaupt entwinden? Wie war es möglich, dass sie eben so einfach weggefahren war? Das Auto musste ein Faraday’scher Käfig sein und deshalb gefeit gegen die elektrische Hochspannung meines Begehrens.
    Ich setzte mir diese Frist: bis zum Wochenende. Danach wäre sie unwiderruflich wieder oben verschwunden, auf der winddurchfegten Hochebene, eingewebt in das Geflecht einer Familie, deren Biedersinn ich nicht kennenlernen wollte, verknüpft mit Nachbarn und Freundinnen, gebunden, vernetzt, festgezurrt. Mochte sie dann auch zappeln, was sie wohl nicht einmal tun würde – ich könnte sie nicht mehr erreichen und schon gar nicht befreien. Wenn es so käme, müsste ich die Erleuchtung wieder auf herkömmliche Weise anstreben. Wie Kalu Rinpoche in seinen allerletzten Jahren.

Tempelprostitution
    Mittwoch weckte mich Lerchenschwirren am frühen Morgen. Warmes Wasser, die steinerne Osterbrezel. Na gut. Schweben in der Gedankenstille, Melodienschnüre des Vogelgesangs, Perlenreihen von Gedanken. Beides nahm ich möglichst interesselos hin. Kleines Getrappel auf einem geheimen Mäusepfad. Tropfen des Wasserhahns. Beides wahrgenommen mit dem empfohlenen wachsamen Desinteresse. Langsames Auflösen der Körpergrenzen.
    Später zwei Radfahrer von links nach rechts, Hin und Her ihrer Stimmen, bewegtes Vorüberziehen vor einem unbewegten Hintergrund, dann zurückkehrend von rechts nach links. Ja, dies war die falsche Donauseite, wenn man nach Fridingen radeln wollte. In der Leere meines Gehirns rückten die Geräusche ab, und die Gedanken wurden durchsichtig. Kein Haften mehr an irgendeiner Wahrnehmung.
    Oder doch? Es gab da eine Bewegung vor dem Fenster, Schritte, ein Innehalten. Dharma Bell! Es war, als ob jemand sich auf die Zehenspitzen stellte, um hineinzuspähen. Aber hier nur sanftes Hinnehmen, kein Blick, die Augen waren jetzt ohnehin nicht zu öffnen, die Lider zu schwer und in dieser Versenkung von keinem Impuls zu erwecken. Innere Gesichter flackerten vorbei: Björn, Pater Felix, die Runde im Haupthaus, Lena, Hannah, Kim, Jakob und Alexander, alle unter einem Schleier, die Farben ausgewaschen. Und zurücksinken aufs ruhige Nichts. Weiche Offenheit blieb, Weite, in der kein Ich zu finden war, nichts. Das war schon die halbe Erleuchtung.
    In der Nacht zum Donnerstag schlief ich miserabel. Die Morgenmeditation reichte nicht als Ausgleich. Die Körpermitte fühlte sich wund an, als hätte die Faust eines Schwergewichtlers darin gewühlt. Um mir einen Anschein von Frische zu geben, joggte ich donauaufwärts, fort vom Dorf, bis an den Punkt, wo der Weg enger wurde und sich in den Wald hinaufwand, hoch zum Knopfmacherfelsen, an dessen Fuß alle zwei Stunden die Bahn drachenhaft aus dem Gestein fuhr, aus genau jenem Tunnel, für den der Bahnwärter in meinem Häuschen einst verantwortlich gewesen war. Er hatte dort mit seiner Familie gewohnt.
    Statt den Rest des Vormittags in Meditation zu verbringen, räumte ich auf. Man konnte nicht wissen, ob der Tag nicht Besucher bringen würde. Außerdem war uns die Litanei der Zenmeister oft genug eingebimst worden: Vor der Erleuchtung Holz hacken und Wasser tragen, nach der Erleuchtung Holz hacken und Wasser tragen. Der Alltag änderte sich nicht. Obwohl es mir anders vorkam, war es meiner Erleuchtung nicht abträglich, wenn ich ein bisschen putzte und Staub verwirbelte.
    Um zehn vor zwölf stand ich im Laden. Die paar Leute, die regelmäßig nach dem Hochamt einkauften, hatten ihn um diese Zeit schon verlassen. Da stand sie, hatte wieder ihren Zettel mit Abrechnungen vor sich und lächelte so wenig wie am Dienstag zuvor. Warum so ernst?
    »Ich bin der Mönch«, versuchte ich heiter.
    »Brötchen sind alle«, sagte sie unbeteiligt. »Osterbrezeln sowieso.«
    »Deswegen bin ich nicht gekommen.« Ich hatte beschlossen, offen zu sein. Dann fiel mir noch etwas Besseres ein: »Du siehst melancholisch aus.« Das war nie verkehrt.
    Sie presste die Lippen zusammen, sah kurz auf und senkte schon wieder den Blick. Die Bemerkung hatte etwas getroffen. Ich war darüber mehr verwundert als sie. »Theresa, was ist los?«, fragte ich wie ein langjähriger Freund.
    »Ist egal«, sagte sie wegwerfend und begann, die Sachen zusammenzupacken.
    »Gut, ich lasse dich in Ruhe«, versprach ich. »Aber etwas muss ich dir sagen: Mein Verbleiben an diesem Ort hat keinen Sinn mehr, wenn wir nicht wenigstens einen Spaziergang

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