Ungleiche Paare
sie an. Das hatte sich also herumgesprochen. Oder hatte sie mich beobachtet? Ein Frühlingszeichen!
»Zu Ostern habe ich das Häuschen dahinten bezogen«, zeigte ich. Man konnte das Dach durch die kahlen Bäume am Parkplatz erkennen. »Es ist ein Ableger des Meditationshauses.«
»Ganz allein?«, murmelte sie, während sie weiterrechnete. Eindeutiges Interesse!
»Ja, ganz allein. Ich will mal versuchen, als Mönch zu leben.« Ob das nun schlau war? Doch, ja, gegenüber einer Dorfschönheit von der Alb musste es vorteilhaft sein, einen unschuldigen und gottesfürchtigen Eindruck zu erwecken. »Nur vorübergehend«, fügte ich aber lieber hinzu. »Durch die Meditation kommt man zur Ruhe.«
Sie packte zusammen. »Ja, ja, ein bisschen Ruhe wäre gut«, seufzte sie. Ihr Haar duftete nach dem Frühlingswald auf der Hochfläche, nach dem Wind im Gras und den Schlüsselblumen und Enzianblüten und dem Harz von Wacholder.
»Das ist total stressig hier«, fuhr sie fort, während ich ihr nachschnupperte, als sie in den fensterlosen Hinterraum verschwand. »Meine Mutter ist krank«, teilte sie aus dem Dunkel mit. »Die Aushilfen brauchen wir oben in Irndorf. Deshalb mache ich das hier zur Zeit. Gott sei Dank nur in den Ferien.« Sie kehrte im Mantel zurück, bepackt mit zwei Taschen, die unverkaufte Ware enthielten.
Gott sei Dank? »Wie lange sind denn noch Ferien?«, fragte ich bang.
»Nur noch diese Woche.«
Nur eine Woche noch! Ich merkte, wie Furcht den Raum um das Nabelchakra verengte. Ein Beispiel für Ruhe konnte ich nicht sein. Meditation machte auch anfällig, empfindlich, störbar. Das war der Nachteil, wenn man sie zur Hauptbeschäftigung machte.
»Wir können uns duzen, Theresa«, bot ich an. »Ich bin Dietmar.«
»Ja, schon in Ordnung, aber ich muss weg.«
Wie sollte ich die Probe auf mein Mönchtum beschleunigen? »Ich könnte Ihnen, also dir, Theresa, ich könnte dir Meditation beibringen, weil du eben gesagt hast, du würdest gern ruhiger werden.«
»Ja, ja, aber ich habe keine Zeit. Und ich kann das auch nicht. Ich habe nicht die Ruhe dafür.« Sie hielt mir die Tür auf, damit ich den Laden verließ.
»Man braucht keine Ruhe dafür«, beschwor ich sie, während sie abschloss. »Man bekommt Ruhe durch Meditation! Dafür ist sie doch da!« Die Dringlichkeit kam mir selbst übertrieben vor.
Nein. Keine Chance. Sie schüttelte die Kastanienlocken, so scheu lächelnd, dass ich sie sofort hätte küssen müssen, winkte noch und verschwand ums Haus. Ich blieb stehen wie ein abgewiesener Bräutigam. Wie der Jäger, dem sie entsprungen war. Ach, jetzt fiel es mir ein: Ich hätte sie mir gehäutet vorstellen sollen! Zu spät. Ein kleines Auto brummte weg. Darin saß sie und sah nicht mal zurück, rollte die gerade Zufahrt zur Donautalstraße hinunter, dann die mühsamen Serpentinen den Hang hinauf. Oben,auf der Hochebene, lag Irndorf. Auto fuhr sie also. Aber ging noch zur Schule. Dann musste sie achtzehn sein. Sie war mündig.
Mit einer altbackenen Osterbrezel, einem Tetrapak Kirschnektar und dem letzten Exemplar der lokalen Zeitung, dem Gränzboten , trollte ich mich. Schon war mir die ordnende Struktur des Haupthauses abhandengekommen.
Reumütig stieg ich den Weg hinauf zur Abteikirche. Sie war leer nach dem Hochamt, das während der Woche ohnehin schwach besucht war. Der Cannabisduft des Weihrauches schwebte noch in der Weite des lichten Schiffes. Ein Mönch in schwarzer Kutte hantierte am Altar, löschte Kerzen, räumte auf, verstaute Kelch, Hostien, Messegerät. Eine einsame Beterin hockte unbeweglich in einer der vorderen Bänke. Die Schritte des Mönches hallten durch die Stille.
Hier konnte man ebenfalls meditieren, wenn auch die Temperatur nicht gerade zum Ablegen des Mantels nötigte. Und wenn ich ihr das anbieten würde? Unterricht hier in der überkuppelten marmornen Kühle? Zwischen Stuckrosen und Gipsranken, unter bibelfesten Deckenfresken, behütet von steinernen Heiligen mit Goldreif überm Scheitelchakra, alles ganz unverdächtig?
Mir blieben nur noch die Vormittage des Donnerstags und des Samstags. Am Samstag würden wieder quatschende Pensionäre den Laden besetzt halten. Blieb nur der Donnerstag. Mein Verbleiben an diesem Ort, spürte ich mit quälender Schärfe, hatte keinen Sinn mehr, wenn sich nicht irgendetwas mit dieser duftenden Schönheit ergab.
Ach, ich konnte sie doch bereits fühlen, konnte ihrenBalsam trinken, hatte ihren Geschmack auf der Zunge! Ich hielt sie schon
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