Unglücklich sein (German Edition)
In Ländern des Wohlstands träumen Menschen von einem guten Leben , mit dem sie eine gesicherte und gesteigerte Form von Zufriedenheit erreichen wollen; die dabei behilflichen Produkte und Dienstleistungen steigern das Bruttosozialprodukt. Mithilfe von Luxusgütern hoffen viele, die Unwägbarkeiten des Lebens auf Distanz halten zu können. Luxus ist der Versuch, das Glück auf einem anspruchsvollen materiellen Niveau zu befestigen und sich gegen alle Wechselfälle des Lebens hinter dicken Mauern, unter hohen Zinnen in einer Burg zu verschanzen, ein bürgerliches Streben im Wortsinne. In der einfachsten Hütte, in der die Menschen dem Leben ungeschützter ausgesetzt sind, ist bei allem Unglück wahrscheinlich mehr Glück zuhause.
Vor diesem Hintergrund erscheinen die Glücksvergleiche, die rund um den Planeten angestellt werden, albern. Eine Map of Happiness jagt die nächste, gefördert von Happiness-Instituten , die früher oder später den Happiness-Overkill herbeiführen. Wissenschaftlich seriös können die Glücksvergleiche nicht sein, denn hier werden Äpfel mit Birnen verglichen: Es gibt keinen Begriff des Glücks,unter dem rund um den Planeten alle Menschen das Gleiche verstehen würden. Das Glück ist hermeneutisch aufgeladen, abhängig von Deutungen wie kaum etwas sonst. Fragwürdig sind die normativen Voraussetzungen: Geht es wirklich um Glück im Leben? Ist Glück wirklich Zufriedenheit? Eine Wissenschaftlichkeit, die auf Messbarkeit beruht, würde außerdem eine Wiederholbarkeit der Untersuchungen erfordern, die gleiche Ergebnisse erbringt: Aber ständig verrutschen die Länder auf der Skala, ohne in so kurzer Zeit viel für oder gegen ihr Glück getan haben zu können.
In Deutschland können die Menschen im Glücksatlas nachschlagen, wie es um sie bestellt ist. Sollten die Menschen in München weniger glücklich sein als in Hamburg, können sie nacharbeiten: Mit einiger Anstrengung auf Partys, in Kneipen und in den Betten kann bald schon wieder alles ganz anders sein, der Alltag zwischendurch ist Schweigen. Die Sache ließe sich noch ausbauen: Lasst sie gegeneinander antreten, Woche für Woche! Wer spielt in der Bundesliga, wer nur in der Kreisliga des Glücks? Wer gewinnt den jährlichen Glückspokal? Wer darf in der Champions League mitspielen? Welche Länder können sich für die Austragung der Weltmeisterschaften des Glücks qualifizieren? Endlich wendet sich die Aufmerksamkeit von wirtschaftlichen Verhältnissen ab, von Interesse ist nur noch das Triple-A der Rating-Agenturen des Glücks. Mit einem Hedonimeter , wie ihn sich der Ökonom Francis Edgeworth schon im 19. Jahrhundert ausdachte, ist der Grad der Zufriedenheit jedes Einzelnen in jeder Sekunde zu messen. Aber warum eigentlich immer nur Vergleiche der Menschen untereinander, warum nicht auch zwischen Mensch und Tier? Wer ist glücklicher, der Mensch oder das Schaf? Und wenn das Schaf, warum dann nicht lieber Schaf sein?
Jedem ist zu gönnen, das Maß an Zufriedenheit zu erreichen, das er sich wünscht. Kaum etwas ist schöner, als sich entspannt zurückzulehnen, zufrieden mit sich, auch wenn es nicht immer Gründe dafür gibt, zufrieden mit der Welt, auch wenn sie partout nicht besser werden will. Aber auf Dauer? Sicherlich wäre es schön, in einer völlig heilen Welt ein völlig heiles Leben zu führen, aber daskönnte wohl nur ein ruhiggestelltes Leben in einer stillgestellten Welt sein. Es ist nicht schlimm, auch mal zufrieden zu sein, aber die Kunst besteht darin, es nicht zu übertreiben, denn der Versuch, in der Entspanntheit zu verharren, wird zum Problem: Zu Veränderungen und Verbesserungen hat dieser Zustand noch nie geführt, ganz im Gegenteil: Zufriedenheit und Selbstzufriedenheit legen alle Entwicklung lahm.
Daher ist es problematisch, Menschen auf das Glück der Zufriedenheit einzuschwören und eine Ideologie, eine Contentologie daraus zu machen. Glückliche Menschen in einer glücklichen Gesellschaft begeben sich in große Gefahr: Ihre Zufriedenheit steht der immer wieder erforderlichen Unruhe über die Verhältnisse im Weg, niemand kann das wirklich wollen. Sollen Menschen, denen es an lebensnotwendigen Dingen fehlt, zufrieden sein, während Andere sich nehmen, was ihnen gefällt? Was soll aus den beneidenswert zufriedenen Menschen auf der Inselgruppe Vanuatu im Südpazifik werden, wenn der Meeresspiegel weiter ansteigt? Was wäre aus Deutschland geworden, wenn es sichnach den ersten Pisa-Studien, die ihm in Fragen
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