Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unguad

Unguad

Titel: Unguad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Werner
Vom Netzwerk:
verstehst, was ich meine.«
    Oh. Ich zog verblüfft die Augenbrauen in die Höhe. Damit hätte ich
nicht gerechnet. Da hatte Elvira ihn also erpresst, weil ihr etwas im
Zusammenhang mit den Todesfällen aufgefallen war. Nicht schlecht.
    »Und warum der Zettel an ihrem letzten Morgen?«
    Heidemarie wischte sich mit dem zerknüllten Seidentuch die feuchte
Stirn. »Sie wurde dreister und dreister. Wir haben uns um sie kümmert.«
    »Hast du sie umgebracht?«
    Sie schluckte trocken, räusperte sich erneut und versuchte, ihre
kratzigen Stimmbänder wieder frei zu bekommen. »Adam hat sie in die Kammer
gelockt und festgehalten. Nur eine kleine Spritze. Das hat genügt. Sie war ja
schon überdreht wegen der Wespe. Bekam keine Luft mehr.«
    Auch Heidemarie schnappte jetzt nach Luft. Benommen klammerte sie
sich an den Tisch.
    »Habt ihr ein Bonbon dabei?« Ihre Zunge formte immer schwerfälliger
die Worte.
    Hecker schüttelte den Kopf. Ich hob meine Hände in die Höhe, als
Zeichen dafür, dass ich noch nicht einmal eine Tasche bei mir hatte. Wie konnte
ich ihren Zustand ausnützen? Ich blickte mich in dem Raum um. Viel gab es hier
nicht. »Vielleicht ist ja in den Holzkisten etwas Essbares«, schlug ich vor.
    »Ja, ja, vielleicht. Adam, schau nach. Schnell!«
    »Was soll da schon drin sein?« Ihr Sohn hatte keine Lust, sich an
den Kisten die Hände dreckig zu machen. Das sah man ihm an. Schon gar nicht
nach dieser Bloßstellung durch seine Mutter. Unter zusammengezogenen
Augenbrauen warf er ihr einen finsteren Blick zu.
    »Adam, beeil dich! Los!« Ärgerlich und angstvoll zugleich trieb ihn
Heidemarie an. Sie merkte wohl, dass sich ihr körperlicher Zustand immer weiter
verschlechterte.
    Missmutig drehte sich Hecker um und beugte sich über eine Kiste. Da
kein Werkzeug vorhanden war, versuchte er unflätig fluchend, den Holzdeckel mit
bloßen Händen aufzureißen. Das nahm seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.
    Ich sah in die schillernden Augen meines Luchses. Er hatte recht.
    Mit einem kleinen Schritt war ich beim Tisch, packte die schmale
Spritze, stieß sie Heidemarie in den Arm, sie schrie auf, und ich drückte
durch. All das Insulin verteilte sich in ihrem Körper. Hecker drehte alarmiert
seinen Kopf zu uns. Er brauchte etwas Zeit, bis er kapierte, was geschehen war.
Seine Mutter sprang auf, immer noch schreiend. Schwankte. Ihr war offenkundig
schwindlig.
    Mein Luchs blickte sich sprungbereit zu mir um. Ja, ich komme schon.
    Hecker richtete sich auf. »Was ist?«
    Er sah mich mit der Spritze in der Hand neben seiner Mutter stehen.
Realisierte, was ich gemacht hatte, stürzte auf mich zu, aber Heidemarie stand
ihm im Weg. Sie taumelte, warf sich ihm in die Arme. Weinend. Doch ihr Sohn
wollte sie gar nicht auffangen, sondern mich fassen.
    »Verdammt noch mal!«
    Ich schmiss die Spritze auf den Boden und lief los. Stolperte die
Treppenstufen hinauf. Dem Luchs hinterher. Oben bogen wir nach links. In den
dunklen Gang. Ich hörte Heidemarie jammern. Hecker brüllte sie an, ihn endlich
loszulassen. Mein Luchs jagte in die Finsternis. Ich flog ihm hinterher.
    Dann vernahm ich schnelle, polternde Schritte hinter mir, das Licht
der Taschenlampe sprang auf und ab. Hecker kam mir nach.
    Ich bog um die Ecke, sofort war es wieder dunkler. Meine Schuhsohlen
glitschten über den nassen Boden. Aber ich schaffte es, nicht auszurutschen.
Ich streckte meine Hände nach vorn. So ganz vertraute ich doch nicht darauf,
einfach in die Finsternis laufen zu können, ohne irgendwo dagegen zu rennen.
Spinnweben mit dem Dreck von Jahrhunderten schlugen mir ins Gesicht und blieben
kleben. Das war mir egal. Für Ekel hatte ich keine Zeit. Von hinten sprang
wieder das hüpfende Licht von Heckers Taschenlampe in den Gang. Ich hörte sein
Keuchen.
    Schneller, ich muss noch schneller … Er darf mich nicht … Auch ich
war schon außer Atem, aber die Angst vor Hecker peitschte mich voran.
    Wieder eine Abzweigung. Mein Luchs entschied sich ohne zu zögern für
rechts. Der Weg stieg leicht an. Ich hastete weiter. Meine Haare fielen mir
beim Laufen immer wieder in die Augen. Ich wischte sie mit meinen schmutzigen
Händen aus dem Gesicht. Hecker war knapp hinter mir. So knapp wie noch nie
bisher. Keuchend bog ich um die nächste Ecke.
    Im gleichen Moment hörte ich Hecker stolpern und gegen die Mauer
krachen. Er fluchte. Laut. Metall klirrte. Die Taschenlampe. Dann war es
stockdunkel.
    Mir war es egal. Ich rannte einfach weiter. Spürte, wo mein

Weitere Kostenlose Bücher