Unguad
Luchs
lief. Wieder tanzendes Licht. Anscheinend funktionierte die Lampe doch noch.
Hecker verfolgte mich. Aber ich hatte einen kleinen Vorsprung. Das mobilisierte
meine spärlichen Reserven. Ich hechelte voran.
Da sah ich unendlich weit vorne einen Lichtschimmer. Schattenhafte
Umrisse von mehreren Menschen. Meine Rettung?
Hecker hatte aufgeholt. Er vergeudete keine Kraft, mir hinterher zu
brüllen. Achtete nur aufs Rennen. Das konnte er mit seinen langen Beinen besser
als ich. Weit ausholende Schritte. Bald hat er mich!
Panisch hetzte ich weiter. Er darf mich nicht kriegen! So kurz vor
meiner Hoffnung am Ende des Ganges. Die Steigung des Weges wurde noch steiler.
Kräftezehrend. Ich stolperte über Geröll am Boden. Fieberhaft streckte ich
meine Hand nach der feuchtkalten Wand aus, um nicht zu stürzen. Schürfte mir
die Handfläche auf. Aber kein Schmerz. Warum auch? Ist unwichtig. Nur Fliehen
ist wichtig. Fliehen!
Hinter mir kam Hecker ebenfalls ins Schlittern. Das Geräusch seiner
rutschenden Schuhe hörte sich so grausam nah an. Ich meinte, seine hektischen
Atemstöße in meinem Nacken zu spüren. Automatisch zog ich die Schultern hoch.
Bildete mir ein, seine Hand, die mich packen wollte, wäre nur noch Zentimeter
von meinem Hals entfernt.
Nein!
Der Schrei hallte in meinem Kopf. Um tatsächlich zu schreien, fehlte
mir die Energie. Ich fixierte mein ganzes Sein auf den Lichtschein vor mir.
Vor Anstrengung rauschte mir das Blut in meinen Ohren. Trotzdem nahm
ich Stimmen wahr. Konnte jetzt schemenhaft drei Gestalten unterscheiden. Sie
winkten und schwangen Lampen. Das dunkle Grau des Ganges wurde von ihrem Licht
warm erhellt. Da vorne war Leben, die Wirklichkeit. Der Luchs löste sich darin
auf.
Jetzt konnte ich Linus erkennen, Isabell und Frau Langenscheidt. Sie
kamen mir entgegengelaufen. Intuitiv merkte ich, dass Hecker hinter mir
stoppte. Damit hatte er nicht gerechnet.
Linus war bei mir. Ich fiel meinem Sohn entkräftet entgegen. Nun
hatte uns auch Isabell erreicht, umarmte uns beide. Ich war eingehüllt in
Sicherheit. Wenn ich nur mehr Luft bekäme. Ich drückte mich ein wenig ab, sah,
wie die Kommissarin an uns vorbeisprintete.
»Bleiben Sie stehen!«
Sicher würde sie den Hecker gleich haben. Ich lehnte mich an meine
Retter. Von dem Handgemenge bekam ich nur bruchstückhaft etwas mit, denn meine
Helfer redeten beruhigend auf mich ein. Gegen eine ausgebildete Polizistin
hatte Hecker keine Chance. Die Gegenwehr war kurz und erfolglos. Durch den
Polizeigriff vornübergebeugt, wurde er an mir vorbeigeführt.
»Hallo, Frau Schneider.« Die Kommissarin grinste mich an, kein
bisschen außer Puste, und ihre Augen leuchteten grün.
Zweiundzwanzig Uhr vierunddreißig
Endlich war ich wieder zu Hause. Im Kreis meiner Lieben. Alle
waren da. Martin, Linus, Lilli, Susa, Vicky, Isabell und auch Frau
Langenscheidt. Kristina inzwischen. Ich war groggy, aber sehr glücklich.
Ich hatte überlebt.
Damit hatte ich noch vor Stunden nicht gerechnet. Ein ganzes Leben
war seither vergangen. So kam es mir jedenfalls vor.
Was war passiert?
Kristina hatte Hecker nach oben gebracht. Wir anderen waren ihr
gefolgt. Verdattert hatte ich festgestellt, dass wir im Keller vom KUSS aus der Unterwelt aufgetaucht waren. Dort hatten uns schon die Polizisten
empfangen. Kristina hatte Verstärkung angefordert, die inzwischen eingetroffen
war.
Dem Hecker wurden Handschellen angelegt, und er wurde ins
Polizeiauto verfrachtet. Nächstes Ziel Passau. Da war mir Heidemarie
eingefallen. Die brauchte sicherlich Hilfe. Wie gut, dass die Kommissarin auch
einen Krankenwagen herbeordert hatte. Die Sanitäter hatten Heidemarie auf einer
Bahre nach draußen getragen. Ich hatte von ihrem beginnenden Unterzucker und
der Insulininjektion erzählt. Es stand in den Sternen, ob sie durchkam.
Mich interessierte natürlich brennend, wie meine Retter auf die
geniale Idee gekommen waren, beim KUSS in die unterirdischen
Gänge zu steigen. Selbstverständlich wollte jeder als Erster und am lautesten
von seinen Heldentaten berichten. Ich gebe es hier geordnet wieder. Das ist besser
für unser aller Nerven.
Also: Isabell hatte tatsächlich den Hecker bei mir im Wagen
entdeckt. Verdächtigerweise war er auch noch hinter mir gesessen. Da wurde ihr
auf dem Weg nach Ortenburg so langsam bewusst, dass irgendetwas nicht stimmen
konnte. Sie war umgekehrt. Am Kirchplatz stand mein Auto, aber von mir war
keine Spur mehr zu sehen. Die alte Bäckerei war leer, die
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