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Unguad

Unguad

Titel: Unguad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Werner
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nichts vorlesen, sondern seinen ›güldenen‹ Worten lauschen. Er war ja
geschichtlich so bewandert. Ha! Dass ich nicht lache. Dieser Kretin meinte
tatsächlich, mir das Dritte Reich erklären zu können.« Sie schüttelte heftig
den Kopf.
    »Der hat mich wütend gemacht. So wütend!« Ihre Faust sauste auf den
Tisch. Peng! Von der Erschütterung rutschte er über den Steinboden ein Stück
nach vorne. Das kratzende Geräusch seiner Beine verursachte mir Zahnschmerzen.
Heidemarie schien es gar nicht zu bemerken. »Zuerst wollte ich ihm aus dem Weg
gehen. Bin einfach nicht mehr zu ihm ins Zimmer, hab mir jemand anderen fürs
Vorlesen gesucht, eine Frau diesmal.« Heidemarie beugte sich über den Tisch in
meine Richtung. »Aber ich konnte seine blasierte Fratze nicht vergessen. Seine
hohe Eunuchenstimme. ›Das müssen Sie so und so sehen, Frau Wieland. Blablabla.‹
Dann spielte mir eine glückliche Fügung in die Hände. Eines Tages hörte ich,
wie Schwester Sieglinde mit Schwester Marion diskutierte, wie viel Insulin man
dem Typen spritzen konnte. Er war nämlich krank. Hatte Durchfall oder so was.
Und das bringt natürlich wieder die ganze Einstellung durcheinander. Das weiß
ich aus eigener Erfahrung. Ich bin dann zu der Frau und hab vorgelesen. Aber
für mich hab ich immer nur gedacht: Ein Zeichen! Das ist jetzt deine Chance,
Heidemarie! Deine Chance auf Gerechtigkeit. Nütze sie!« Sie hustete, schlug
sich mit der Faust locker auf den Brustkorb und hüstelte nochmals. Mit belegter
Stimme sprach sie weiter.
    »Es war erstaunlich leicht. Ich bin einfach in sein Zimmer gegangen
und hab ihm meine Notration Insulin gespritzt. Die habe ich immer bei mir. Am
nächsten Tag war er tot.« Sie schnalzte mit den Fingern. »Einfach so.
Erledigt.« Heidemarie verzog ihr Gesicht zu einem teuflischen Grinsen. »Und so
hatte ich meinen Modus Operandi gefunden.« Sie lehnte sich zurück.
    Ich war sprachlos. Sie schien tatsächlich stolz darauf zu sein. Aus
tiefstem Herzen verabscheute ich sie. Am liebsten hätte ich das Ganze hier
einfach abgebrochen und wäre gegangen. Weit weg von diesen beiden Unmenschen.
Aber das war leider unmöglich. So musste ich weitermachen. Sie am Sprechen
halten.
    »Und die Tafel? Warum willst du bei der Tafel mitarbeiten? Da hast
du ja auch mit Leuten zu tun, die du verachtest.« Heidemarie starrte wieder auf
die Tischplatte und antwortete nicht sofort. Irgendwas war mit ihr nicht in
Ordnung. Ich musste sie weiter ablenken. Vielleicht konnte ich ihre Schwäche
ausnützen. Mein Blick schweifte zur Treppe. Mein Luchs saß immer noch dort, das
Geschehen wachsam beobachtend. Seine Schwanzspitze zuckte.
    »Nun«, Heidemarie setzte sich etwas aufrechter hin. »Ich finde
Bernhard ganz«, sie räusperte sich, »amüsant. Außerdem war durch den dummen Tod
von Elvira das Altenheim tabu. Zu viel Aufmerksamkeit, zu viele Polizisten. Und
ich suchte ein neues Betätigungsfeld. Hartz- IV -Empfänger liegen dem
Staat doch auch nur auf der Tasche. Alles Schmarotzer. Und denen sollte jetzt
noch gutes Essen nachgeschmissen werden? Da wollte ich regulierend eingreifen,
wie man so treffend formuliert.« Sie nahm die Spritze zur Hand. »Ist das
Insulin?« Die Frage war an Hecker gerichtet.
    Er hatte auf den Boden gestiert und blickte nun auf. »Freilich, was
sonst?«
    Sie legte die Spritze wieder ab und griff sich an den Hals. »Ich
brauche etwas zu essen. Oder Apfelsaft.«
    Keiner reagierte.
    »Wie steht es mit Elvira? War es dir denn recht, dass sie mit deinem
Sohn ein Verhältnis hatte?« Ich riskierte es einfach.
    Hinter mir hörte ich ein Rumpeln. Mit äußerster Willenskraft vermied
ich es, mich umzusehen. Ich konnte mir denken, dass dem Hecker dieses Thema
nicht gefiel. Heidemarie hob, ihm Einhalt gebietend, die Hand. Ihr Gesicht war
fahlweiß, ein Rinnsal von Schweiß lief ihr die Schläfe hinab. Sie achtete nicht
darauf.
    »Elvira hat ihre Nase in Dinge gesteckt, die sie nichts angingen.
Und sie hat die Informationen, die sie erschnüffelt hat, zu ihrem Vorteil
verwendet.«
    Ein Fußaufstampfen hinter mir ließ mich zusammenzucken. Ich blickte
jedoch stur geradeaus.
    Heidemarie schaute an mir vorbei. »So war es, Adam. Es muss dir
nicht peinlich sein. Ist doch egal, wenn unsere liebe Karin hier Bescheid
weiß.« Sie wandte sich wieder an mich. Ihren Augen fiel es schwer, mich zu
fixieren. Ihre Sprache wurde schleppend. Fast wie betrunken. »Elvira wollte
meinen Sohn, aber er nicht unbedingt sie. Falls du

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