Unheil
das auf eine Art, die ihr Unwohlsein eigentlich noch
verstärken sollte, erstaunlicherweise aber das genaue Gegenteil bewirkte.
Vielleicht, weil sie unter allem anderen und wenig Angenehmen auch die Sorge in
seinem Blick spürte, eine Sorge, von der sie sich zumindest einredete, dass sie
über die normale Besorgnis um eine Kollegin hinausging.
»Ich kann Ihnen nicht vorschreiben, was Sie tun sollen«, fuhr er
schlieÃlich fort. »Wenn Sie Eichholz die Wahrheit sagen wollen â oder was Sie
dafür halten â, dann stehe ich Ihnen nicht im Weg.«
»Sie haben bereits eine andere Geschichte erzählt«, gab Conny zu
bedenken, aber er antwortete nur mit einer abfälligen Geste.
»Bisher nur ihm«, wandte er ein. »Ich bin gerade niedergestochen
worden. Jemand hat mich übel verprügelt, und es hätte nicht viel gefehlt, und
ich wäre bei lebendigem Leibe verbrannt. Da kann einem die Erinnerung schon
einmal einen Streich spielen. Machen Sie sich keine Sorgen um mich. Eichholz
hat Sie auf dem Kieker, nicht mich.«
»Er könnte seine Meinung ändern.«
Trausch lachte. Es klang ehrlich. »Und? Was will er mir tun? Mich
vorzeitig in Rente schicken? Diese Vorstellung lässt mich nicht unbedingt
gramgebeugt zusammenbrechen, wissen Sie?«
Conny war ein wenig überrascht, vor allem, weil sich seine Worte so
ehrlich anhörten. Sie hatte bis zu dieser Sekunde geglaubt, Trausch wäre
Polizist mit Leib und Seele und könnte sich auch gar nichts anderes vorstellen,
als es die nächsten fünfzig oder hundert Jahre zu bleiben. Doch da war noch
mehr. »Sie würden es nicht tun, an meiner Stelle?«, vermutete sie.
Trausch reagierte mit einem neuerlichen (und sehr viel behutsameren)
Schulterzucken. »Lassen Sie uns die Sache einfach einmal durchspielen ⦠vielleicht
ist das ohnehin nicht die schlechteste Idee, bevor wir gleich in Eichholzâ Büro
sitzen und er uns in die Mangel nimmt. Ich sage nicht, dass ich Ihnen glaube.«
»Das habe ich auch nicht erwartet.«
»Ich sage aber auch nicht, dass ich Ihnen nicht glaube«, fuhr
Trausch ungerührt fort. »Aber tun wir einfach für den Moment so, als hätte sich
tatsächlich alles so abgespielt â sein Besuch in Ihrer Wohnung, Ihr treffen im
Park und sein plötzliches Auftauchen vorhin. Sie sagen, er ist hinter dem
Jungen aufgetaucht?«
Conny nickte.
»Das würde bedeuten, dass er die ganze Zeit über in der Wohnung
gewesen ist«, meinte Trausch nachdenklich. »Und dass er zugesehen hat, wie der
Kerl über Sie hergefallen ist. Für jemanden, der sich â warum auch immer â
anscheinend in den Kopf gesetzt hat, Ihren persönlichen Schutzengel zu spielen,
ist das ein ziemlich seltsames Verhalten.«
»Vielleicht wollte er ja sehen, wie ich mich schlage«, antwortete
sie. Auch das sollte scherzhaft klingen, und auch dieser Versuch misslang
kläglich.
»Vielleicht spielt er mit Ihnen, Conny«, antwortete Trausch ernst.
»Ist Ihnen diese Idee schon einmal gekommen?«
Natürlich war sie es, hundert Mal, und ebenso natürlich hatte sie
sie ebenso oft wieder verworfen. Nicht, weil sie so abwegig klang â es gab ganz
im Gegenteil eine Menge Gründe, die dafür sprachen â, aber weil sie einfach wusste, dass es nicht so war. Sie reagierte mit einer
Handbewegung, deren Bedeutung er sich aussuchen konnte.
»Wenn es diesen Vlad tatsächlich gibt«, fuhr Trausch fort, »dann treibt er ein böses Spiel mit Ihnen.« Er schüttelte noch
einmal den Kopf und sah sie â plötzlich auf eine ganz andere Art ernst â an.
»Also gut. Dann werde ich Ihnen jetzt dieselbe Frage stellen, die Eichholz
Ihnen stellt, wenn Sie ihm die ganze Geschichte erzählen: Was, wenn es ihn
wirklich gibt? Was, wenn er tatsächlich Aislers Komplize war und Sie benutzt,
um hinter sich aufzuräumen?«
Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit dem groÃen
Bahnhof, den ihre Kollegen ihr bereiteten. Auf ihrem Schreibtisch, den sie
schon seit einer guten Woche nicht mehr gesehen hatte, standen gleich drei
BlumensträuÃe â allesamt frisch und vermutlich erst besorgt, als Trausch und
sie bereits auf dem Weg hierher gewesen waren â, und hätte sie jedes Glas Sekt
angenommen, das ihr angeboten wurde, dann hätte Eichholz sie bei seinem
Eintreffen gute anderthalb Stunden später
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