Unheil

Brustkorb nachlässig aufgeklappt und noch provisorischer wieder
verschlossen.
    Weder ihr Blick noch ihre Reaktion blieben Trausch verborgen. Er sah
eine Sekunde lang mit geschürzten Lippen an sich hinab, zuckte dann mit den
Achseln und begann das frische Hemd überzustreifen. »Herzinfarkt, vor zehn
Jahren«, sagte er, bevor sie die Frage auch nur aussprechen konnte. Sie war
auch nicht sicher, ob sie es getan hätte.
    Ein Herzinfarkt? Er? Natürlich glaubte
Conny ihm, aber der Gedanke kam ihr trotzdem irgendwie … absurd vor. Die Vorstellung passte ungefähr so gut zu ihm wie die eines dritten
Auges mitten auf der Stirn. Trausch war – vorsichtig ausgedrückt – ein
Gesundheitsapostel. Bevor sie mit ihm in der Kellerkneipe gewesen war, hätte
sie jede Wette gehalten, dass er nicht einmal Bier trank.
    Sie behielt diese Überlegungen wohlweislich für sich, aber sie
mussten wohl deutlich auf ihrem Gesicht zu lesen sein, denn Trausch fühlte sich
abermals bemüßigt, eine Frage zu beantworten, die sie noch gar nicht gestellt
hatte. »Zu viele Zigaretten, zu wenig Schlaf und zu viel Stress.« Er lächelte
flüchtig und ohne allzu viel echten Humor. »Und noch ein paar andere Dinge, die
ich besser gelassen hätte … ich war nicht immer so langweilig wie heute.«
    Aus irgendeinem Grund war ihr das Thema peinlich, obwohl er mit
diesem Eingeständnis genau den einzigen Punkt ansprach, der sie – vielleicht –
an ihm störte. »Ich hätte ein anderes Wort benutzt«, antwortete sie verlegen.
    Â»Alt?«, schlug Trausch vor.
    Gut, das war ihr jetzt noch peinlicher.
»Solide«, antwortete sie. »Außerdem geht mich das nun wirklich nichts an.« Sie
räusperte sich mehrmals hintereinander und unecht. »Entschuldigen Sie, wenn ich
Sie angestarrt habe. Ich war nur … überrascht.«
    Â»Dass ich nicht unkaputtbar bin?«
    Conny lächelte pflichtschuldig und machte zugleich eine Kopfbewegung
auf die hässliche Narbe, die in diesem Moment unter seinem Hemd verschwand, als
er es zuzuknöpfen begann. »Ich dachte, dass man so etwas heutzutage … etwas
besser hinbekommt.«
    Â»Nicht im Kosovo«, gab Trausch gelassen zurück, »und unter
Gefechtsbedingungen.« Er schloss den obersten Hemdenknopf, zog eine Schublade
an seinem Schreibtisch auf und nahm eine penibel zusammengefaltete Krawatte
heraus. Er setzte sich, während er sie umband, und irgendwie tat er es auf eine
Art, die das Thema für erledigt erklärte.
    Â»Also gut«, sagte er, mit veränderter, aber immer noch freundlicher
Stimme. »Fühlen Sie sich in der Lage, über unseren Freund zu sprechen, oder
vertagen wir es lieber auf später?«
    Â»Vlad?«
    Â»Der Bursche von vorhin. Sie sagen, er kam Ihnen bekannt vor?«
    Auf eine absurde Weise war Conny … enttäuscht. Sein scheinbares
Desinteresse gerade war das genaue Gegenteil gewesen, ein simpler Trick, wie er
ihn in jedem x-beliebigen Verhör angewendet hätte, um ihrem Gedächtnis auf die
Sprünge zu helfen. »Ich bin nicht sicher«, antwortete sie ausweichend. »Vielleicht
war es auch nur die Aufregung. Irgendwie sehen diese Kerle doch alle gleich
aus. Jedenfalls für mich.«
    Trauschs Lächeln signalisierte ihr, dass es ihm in dieser Hinsicht
anscheinend nicht anders erging, aber seine Augen blieben ernst. Zwei,
vielleicht drei endlose Sekunden lang blickte er sie ebenso durchdringend wie
nachdenklich an, dann sagte er: »Mir ging es genauso.«
    Â»Dass sie alle gleich aussehen?«
    Â»Auch«, antwortete er. »Allerdings ist er mir auch bekannt
vorgekommen.« Er hob rasch die Hand, aber Conny war nicht einmal sicher, ob er
es tat, um sie zu unterbrechen oder um sie zum Setzen aufzufordern. Vielleicht
beides. Sie zog sich kommentarlos einen Stuhl heran und nahm Platz. »Vielleicht
waren die Bedingungen nicht unbedingt ideal, um jemanden zu identifizieren …«
    Â»Nicht wirklich«, bestätigte sie.
    Â»Gut, lassen wir das, vorerst«, seufzte Trausch, streckte den Arm aus,
um eine weitere Schublade an seinem Schreibtisch aufzuziehen, und hielt inne.
»Und Sie sind ganz sicher, dass Sie das wollen?«
    Â»Was?«
    Â»Das alles hier.« Er machte eine wedelnde Handbewegung und zog die
Schublade nun doch auf, ohne allerdings etwas herauszunehmen. »Sie haben einen
ziemlich aufregenden Vormittag