Unheil
angrenzende Kapelle führte. Das rot-weiÃe
Absperrband, das ihr dabei im Weg war, zerriss sie mit grimmiger Befriedigung.
Das Innere der Kapelle war weitaus gröÃer, als sie erwartet hatte, und
vollkommen anders. Der erste Eindruck, den das barocke Gebäude vermittelte,
lieà den Besucher etwas Düsteres und Schweres erwarten, eben eines jener
typischen Kirchengebäude, die keinem anderen Zweck als dem dienten, sich jeden,
der es betrat, klein und elend fühlen zu lassen und ihn schon einmal auf die
ewige Verdammnis einzustimmen. Das genaue Gegenteil war der Fall. Alles hier
drinnen war hell und wirkte beinahe fröhlich â die weià getünchten Wände, die
Kerzenständer aus Silber und Messing, die groÃzügig angeordneten Bänke aus
schlichtem Kiefernholz und die modernen Motive der Buntglasfenster, die
offenbar nachträglich in die gotischen Rahmen eingesetzt worden waren. Selbst
der überreiche Blumenschmuck, der vermutlich von der letzten Beerdigung übrig
geblieben war, erinnerte sie an alles, nur nicht an eine Trauerfeier. Das
Einzige, was vielleicht nicht ganz zu diesem heiteren Eindruck passte, war die
schattenhafte Gestalt, die in einem Winkel hinter dem blumengeschmückten Altar
stand und sie aus unsichtbaren Augen anstarrte.
Conny machte noch zwei weitere Schritte, blieb dann stehen
und fuhr mit klopfendem Herzen herum, als Vlad lautlos aus den Schatten trat
und sie mit einem langen, missbilligenden Blick maÃ.
»Ich bin enttäuscht, meine Liebe«, sagte er.
Conny starrte ihn eine geschlagene halbe Minute lange an, und den
GroÃteil dieser Zeit verbrachte sie damit, sich allen Ernstes zu fragen, ob sie
die dunkel gekleidete Gestalt tatsächlich sah oder nun endgültig den Verstand
zu verlieren begann. Selbst als sie schlieÃlich sprach, war sie nicht ganz
sicher, dass es wirklich ihre eigene Stimme war, die sie hörte. Zumindest hörte
sie sich in ihren eigenen Ohren an wie die einer Fremden.
»Was ⦠was wollen Sie hier?«, krächzte sie. »Sind Sie verrückt,
hierherzukommen?«
»Jetzt sollte ich eigentlich doppelt enttäuscht sein«, seufzte Vlad,
»ist das etwa eine Art, einen alten Freund zu begrüÃen ⦠und so ganz nebenbei auch noch seinen Schutzengel?«
»Was zum Teufel wollen Sie hier?«, fauchte Conny â was nun ganz und
gar die falsche Frage war. Die richtige hätte lauten müssen: Wer zum Teufel sind Sie?
»Wie gesagt: Ich bin enttäuscht«, sagte Vlad. »Auch wenn ich
gestehen muss, dass ich selbst nicht genau sagen kann, ob von dir oder mir.
Vielleicht habe ich einfach zu viel von dir erwartet.«
Connys Gedanken überschlugen sich. Vlad konnte nicht hier sein. Es
war vollkommen unmöglich. Der gesamte Friedhof wimmelte nur so von Polizei.
Niemand hätte sich der Kapelle auch nur auf hundert Meter nähern können, ohne
aufgehalten und zurückgeschickt oder zumindest ein Dutzend mal hochnotpeinlich
kontrolliert zu werden!
Aber er stand vor ihr, so düster und unheimlich wie immer ⦠und auf
eine sonderbare Weise vertraut, die ihr zugleich einen eisigen Schauer über den
Rücken laufen lieÃ.
»Was â¦Â«
»Du solltest mir zuhören, statt immer wieder dieselbe Frage zu
stellen«, unterbrach sie Vlad in einem Ton sanften Tadels. »Dir bleibt nicht
mehr allzu viel Zeit, weiÃt du?«
»Zeit wofür?«, fragte Conny.
»Dich zu entscheiden.« Vlad kam mit kleinen, gemessenen Schritten um
den Altar herum, blieb wieder stehen und stützte sich in einer affektierten,
operettenhaften Haltung mit beiden Händen auf seinen Gehstock. »Ich dachte, das
wäre dir spätestens seit heute Morgen klar.«
»Das Einzige, was mir klar ist, ist, dass ich mich niemals mit Ihnen
hätte einlassen dürfen«, antwortete Conny lahm. Ihre Gedanken rasten noch
immer. Vlads plötzliches Auftauchen hätte sie nicht überraschen dürfen, gehörte
es doch ganz im Gegenteil bei ihm schon beinahe zur Normalität, aber es hatte
es nicht nur getan, sondern warf sie regelrecht aus der Bahn. Was tat er hier?
Was wollte er von ihr?
»Das mag sein«, antwortete Vlad fast betrübt. »Aber selbst wenn es
so sein sollte, so ist es jetzt für solcherlei Ãberlegungen zu spät. Wir haben
einen Handel, und ich fürchte, ich muss auf der Einhaltung unserer Vereinbarung
bestehen.«
»Die
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