Unheil
es eine Adresse
war; eine StraÃe und eine Hausnummer in einem zum gröÃten Teil leer stehenden
Industrieviertel, das seine besten Tage schon lange hinter sich hatte, nicht
einmal sonderlich weit von hier entfernt.
»Du solltest dich beeilen«, sagte Vlad, als Connys einzige Reaktion
darin bestand, ihn verwirrt anzublicken. »Noch sind die Mädchen am Leben, aber
das wird vielleicht nicht mehr allzu lange so bleiben. Und ⦠geh allein
dorthin.«
»Allein?!«, keuchte Conny. »Warum sollte ich �«
»Weil es nur so getan werden kann«, fiel ihr Vlad ins Wort. »Keine
Angst. Ich weiÃ, dass du es schaffen kannst. Du bist stark genug.«
»Aber vielleicht nicht verrückt genug«, erwiderte Conny.
Vlad seufzte. »Wenn du deinen Kollegen Bescheid gibst oder mit
irgendjemandem sonst darüber sprichst, dann werden die Mädchen sterben. Mir ist
das gleich. Es ist deine Entscheidung.«
Irgendetwas polterte. Durch die offene Tür drang ein nicht mehr ganz
unterdrückter Fluch, und diesmal war sie sicher, dass irgendetwas mit seiner
Gestalt ⦠geschah; auch wenn sie nicht wusste, was. Oder vielleicht doch â nur
dass das, was sie zu sehen glaubte, einfach unmöglich war. Für einen
Augenblick, die kaum messbare Zeitspanne zwischen zwei Wimpernschlägen, schien
er sich ⦠aufzulösen. Seine Gestalt verblasste, flackerte hinüber in eine andere,
unsichtbare Wirklichkeit und gewann wieder Substanz, schien aber zugleich etwas
von seiner Wahrhaftigkeit verloren zu haben.
Conny blinzelte, und der unheimliche Effekt war verschwunden.
»Du solltest jetzt gehen«, sagte Vlad. »Oder mit deinen Kollegen
reden. Aber du musst dich entscheiden.«
Und damit verschwand er.
Conny blinzelte, und als sie die Lider wieder hob, war
Vlad nicht mehr da. Alles, was sie sah, war ein Schatten, der sich lautlos
auflöste wie Raureif unter den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne. Conny
starrte die Stelle an, an der er gestanden hatte, blinzelte, starrte noch
einmal auf den leeren Fleck vor sich und dann auf den winzigen Zettel in ihrer
Hand. Was sie gerade erlebt hatte, war unmöglich. Ein Gespenst. Nichts als eine
Halluzination.
Nur, dass Halluzinationen im Allgemeinen keine handschriftlichen
Notizen hinterlassen â¦
Das Poltern, das sie gerade schon einmal gehört hatte, wiederholte
sich, diesmal aber nicht gefolgt von einem Fluch, sondern von schnellen
Schritten und einem überrascht klingenden Laut. Conny drehte sich instinktiv um
und sah in das Gesicht, das sie nun wirklich am wenigsten vermisste.
»War jemand hier?«, fragte Eichholz.
»Hier?« Conny versuchte zu lächeln, argwöhnte aber selbst, dass sie
wohl eher etwas wie ein dümmliches Grinsen zustande brachte. »Nein. Ich â¦Â« Rede nur gerade mit einer Halluzination. Das mache ich in letzter
Zeit öfter. Prima Idee. Eine wirklich ganz
hervorragende Idee. Oder wie wäre es damit: Vlad war
hier. Sie wissen schonâ mein geheimnisvoller Mentor, von dem Sie glauben, es
gäbe ihn gar nicht. Jetzt kann ich beweisen, dass es ihn gibt. Oder könnte es,
wenn er sich nicht gerade in Nichts aufgelöst hätte. Sie schwieg.
Vielleicht war das auch nicht die allerklügste aller vorstellbaren
Reaktionen, denn nun sah Eichholz nicht mehr verwirrt, sondern ganz eindeutig
misstrauisch aus. »Ich dachte, ich hätte eine Stimme gehört«, sagte er. Sein
Blick tastete noch einmal und noch misstrauischer durch den Raum und blieb an
ihrer Hand hängen. Irgendwie gelang es ihr, dem Impuls zu widerstehen, ihm zu
folgen, aber ihr wurde im Nachhinein klar, dass sie ganz instinktiv die Faust
um das winzige Papier geschlossen hatte. Hoffentlich bevor Eichholz hereingekommen war.
»Hier ist niemand«, versicherte sie.
»Und mit wem haben Sie dann gerade gesprochen?«, fragte er
»Mit niemandem«, beharrte Conny. »Ich glaube, ich â¦Â« Sie beendete den
Satz mit einem Schulterzucken und einem (wie sie hoffte) verlegenen Lächeln.
Für die Dauer eines Atemzuges wurden Eichholzâ Augen zu schmalen Schlitzen,
hinter denen das pure Misstrauen geschrieben stand. Doch dann entspannte er
sich plötzlich und zwang seinerseits etwas auf sein Gesicht, das er für ein
Lächeln halten mochte.
»Sie haben heute eine Menge mitgemacht, Conny«, sagte er sanft.
»Seien Sie nicht so streng mit sich
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