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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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einem übertrieben gespielten Ächzen den Arm nach
seinem Aufnahmegerät ausstreckte und es in die Hand nahm, aber noch immer nicht
ausschaltete. »Fahren Sie nach Hause und schlafen Sie sich gründlich aus,
Kollegin. Es reicht vollkommen, wenn Sie sich morgen Nachmittag wieder melden.
Kollege Trausch wird Sie nach Hause fahren. Und entschuldigen Sie, wenn ich
vielleicht etwas … grob gewesen bin.«
    Grob? Conny hätte um ein Haar gelacht. Für seine Verhältnisse war
Eichholz heute geradezu lammfromm gewesen. Sie war nicht einmal sicher, wie sie
selbst auf ein Verhalten wie das ihre reagiert hätte – bestimmt nicht so ruhig
und verständnisvoll wie er. Aber sie fing gerade noch rechtzeitig genug
Trauschs warnenden Blick auf und beließ es bei einem dankbaren Lächeln.
Allerdings sparte sie sich auch jedwede Verabschiedung, ging wortlos an ihm
vorbei und aus dem Zimmer und blieb erst stehen, als sie den Aufzug erreicht
hatte. Sie sollte ärgerlich sein, wütend auf Eichholz, dessen plötzliche
Sanftmütigkeit ihr wie eine gezielte Provokation vorkam, und wütend auf
Trausch, der ihr nicht so beigestanden hatte, wie sie es sich von ihm gewünscht
hätte, und irgendwie waren alle diese Gefühle auch da, tief in ihr, aber sie
schienen sie nicht mehr wirklich zu berühren, als wäre sie plötzlich gar nicht
mehr imstande, irgendwelche Gefühle zu empfinden.
    Und zumindest für diesen Tag stimmte das wahrscheinlich sogar.
    Wenn sie Glück hatte. Wenn nicht …
    Â»Der Aufzug kommt nicht, wenn Sie den Knopf nicht drücken.«
    Trausch beugte sich umständlich an ihr vorbei und machte einen
langen Arm, um den Rufknopf zu erreichen, wobei er ihr näher kam, als wirklich
nötig gewesen wäre, und seine Nähe …
    Trausch erstickte den Gedanken im Keim, noch bevor er Gestalt
annehmen konnte, und Conny trat ihrerseits ein kleines Stück weiter zur Seite,
als notwendig gewesen wäre.
    Sie bewegte sich auf dünnem Eis. Ohne in Selbstmitleid verfallen zu
wollen, entsprach das, was Trausch zu Eichholz gesagt hatte, der Wahrheit: Nach
dem, was sie heute (zweimal) durchgemacht hatte, wäre jeder andere an ihrer
Stelle längst zusammengeklappt. Die vermeintliche Stärke, die sie dem Rest der
Welt – sich selbst eingeschlossen – vorspielte, war nichts anderes als ebendas:
gespielt. Darunter war sie verletzt und blutete aus einem Dutzend schrecklicher
Wunden, die möglicherweise tiefer gingen, als ihr selbst jetzt schon bewusst
war und die vielleicht nie wieder vollständig heilen würden. Wenn sie sich
jemals nach etwas gesehnt hatte, von dem es ohnehin viel zu wenig in ihrem
Leben gab, dann jetzt. Sie musste aufpassen, dass sie nicht Dinge tat, die sie
später bereuen würde. Als die Kabine kam und sie eintraten, quetschte sie sich
in die hinterste Ecke, so weit von Trausch entfernt, wie es ging; was in dem
winzigen holzvertäfelten Quadrat bedeutete, dass sie nahezu auf Tuchfühlung
beieinanderstanden.
    Trausch drückte den Knopf für die Tiefgarage und wandte sich diskret
ab, konnte aber an der rein körperlichen Nähe nichts ändern, die ihnen der
beschränkte Platz aufzwang. Sie nahm seinen Geruch wahr, eine Mischung aus
demselben eingetrockneten Schweiß und all den anderen, unangenehmen und alten
Dingen, mit denen er sich auf der Suche nach ihr in dem unterirdischen
Kellerlabyrinth besudelt haben musste und die jetzt seinen Kleidern und seinem Haar
anhafteten. Genau wie ihren. Das war unangenehm und leicht abstoßend, zugleich
aber auch …
    Conny starrte blicklos zu Boden, und das so lange, bis sie die
Tiefgarage erreicht hatten und die Kabine mit einem spürbaren Ruck anhielt.
Vielleicht, dachte sie, musste sie nicht nur aufpassen, nicht Dinge zu tun, die
sie später bereuen würde, sondern sich noch viel mehr davor hüten, Dinge zu
tun, die so vielleicht nicht bereuen würde …
    Trausch schien sich anzuspannen, als die Türen aufglitten und er vor
ihr aus der Kabine trat, und auch sie selbst zögerte fast unmerklich, ihm zu
folgen. Aber es war nur ein Reflex, von irgendetwas tief in ihr ausgelöst, das
längst keine Rolle mehr spielte. In Wahrheit erlebte sie etwas sehr Seltsames,
als sie die Tiefgarage betrat: Der Raum war groß und bis auf Trausch und sie
selbst menschenleer und nur schwach erleuchtet. Im Zuge der mittlerweile auch
hier um sich

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