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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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aus einem Maschinengewehr das Feuer auf sie eröffnete.
    Nichts von alledem war geschehen. Conny war sicher, dass Eichholz
die größte Ringfahndung der Nachkriegszeit eingeleitet hatte, und als unauffällig konnte man den antiquierten Kastenwagen, der
noch dazu eine blaugraue Rauchwolke hinter sich herzog und in fast regelmäßigen
Abständen Funken auf die gegenüberliegende Fahrbahn spie, auch nicht gerade
bezeichnen. Dennoch hatte man sie nicht aufgehalten, und nun war sie hier.
    Conny nahm den Fuß vom Gas und drehte – wohl wissend, dass der Motor
nie wieder anspringen würde – den Zündschlüssel herum, berührte das Bremspedal
jedoch nicht, sondern ließ den Wagen ausrollen.
    Natürlich kam er mitten in einer gewaltigen Pfütze zum Stehen.
Obwohl es in den zurückliegenden Tagen nicht ein einziges Mal geregnet hatte,
war der Parkplatz praktisch ein einziger See aus schlammigem Wasser und Morast.
Sie konnte tatsächlich spüren, wie der Wagen ein winziges Stück weit einsank,
nachdem die Räder aufgehört hatten, sich zu drehen.
    Das alles war vollkommen nebensächlich. Irgendetwas sagte ihr, dass
sie diesen Ort ohnehin nicht mehr verlassen würde.
    Obwohl sie den Schlüssel schon vor etlichen Sekunden herumgedreht
hatte, ließ der Motor noch eine abschließende Fehlzündung hören, die nicht nur
wie ein Pistolenschuss über den fast leeren Parkplatz hallte, sondern sie auch
aus ihren Gedanken riss und wieder daran erinnerte, warum sie eigentlich
hierhergekommen war.
    Dort, wo alles begonnen hat.
    Der logische Teil ihres Denkens war immer noch nicht ganz sicher,
was Vlad damit gemeint hatte. Aber welche Rolle spielte schon Logik im
wirklichen Leben? Sie hatte seine Frage mit ja beantwortet, und er hatte nicht widersprochen, und mehr brauchte sie nicht.
    Sie stieg aus, versank prompt bis an die Knöchel im eiskalten Matsch
und machte einen einzelnen, saugenden Schritt, bevor sie noch einmal
kehrtmachte und sich in den Wagen beugte, um die Pistole vom Beifahrersitz zu
nehmen, die sie ihrem bewusstlosen Kollegen abgenommen hatte. Logik mochte ja
in jenem sonderbaren Winkel der Wirklichkeit nichts mehr gelten, an dem sie
gestrandet war, aber ein wenig Vorsicht konnte auf keinen Fall schaden.
    Sie kontrollierte die Waffe – das Magazin war voll geladen, womit
ihr dreizehn Schuss zur Verfügung standen –, schob sie unter den Bund ihrer
geliehenen Jeans und sah sich noch einmal mit dem kühlen, nichts anderes als
analytischen Blick einer Polizistin um.
    Der Parkplatz war nahezu leer. Eine Handvoll Wagen war ohne
erkennbares Muster auf dem weiten Areal verteilt (mindestens einer davon, ein
schwarzer Angeber- BMW ganz am anderen Ende des
Platzes, würde ohne Hilfe ganz bestimmt nicht mehr aus dem Schlamm
herauskommen) und drei oder vier ausnahmslos kleine Wagen standen derzeit vor
dem Eingang. Conny vermutete, dass der eine oder andere Gast seinen Wagen
gestern Nacht vorsichtshalber stehen gelassen hatte, die Fahrzeuge unmittelbar
vor dem Trash dagegen jemandem vom Personal gehörten,
vielleicht der Putzkolonne, vielleicht auch einem übereifrigen Buchhalter oder DJ … vielleicht aber auch jemand anderem.
    Connys Hand tastete nach dem Pistolengriff in ihrem Hosenbund.
    Etwas zwickte an ihrem Ellbogen. Sie bemerkte den hässlichen
dunkelbraunen Fleck auf ihrem Pullover und schob den Ärmel beinahe erschrocken
nach oben. Die Haut darunter wirkte unversehrt. Hatte sie sich verletzt? Sie
erinnerte sich nicht. Und auch das war jetzt vollkommen nebensächlich.
    Sie schüttelte den Ärmel wieder herunter und sah das riesige,
zerklüftete Gebäude vor sich aufmerksam an. Es kam ihr schäbiger vor als beim
letzten Mal, obwohl sie auch da bei Tageslicht und alles andere als in
optimistischer Stimmung hier angekommen war. Etwas fehlte der ehemaligen Fabrik … vielleicht
das Lebendige? Es war nicht nur der jetzt fast völlig verlassene Parkplatz. Als
sie das erste Mal im Trash gewesen war, hatte im
Inneren eine ausgelassene Party getobt, und obwohl davon hier draußen nur sehr wenig
zu sehen und rein gar nichts zu hören gewesen war, hatte man es irgendwie … gespürt .
    Jetzt spürte sie das genaue Gegenteil: die Abwesenheit von Leben.
    Nein. Das stimmte nicht. Conny lauschte in sich hinein und nahm
etwas anderes wahr; nicht die Abwesenheit von, sondern so etwas wie negatives Leben, eine

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