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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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düster-schwärende Wunde im Fleisch
des Lebens, deren fauligen Geruch sie selbst hier draußen wahrnehmen konnte …
    Irgendwie gelang es ihr, diesen Gedanken abzuschütteln, aber es
blieb trotzdem so etwas wie ein schlechter Geschmack auf ihrer Seele zurück.
    Sie griff wieder nach der Waffe, spürte ihr beruhigendes Gewicht und
maß das Trash zum zweiten Mal mit ebenso aufmerksamen
wie nachdenklichen Blicken, während sie sich zugleich fragte, warum Vlad sie eigentlich
hierher geschickt hatte. In einem Punkt war sie sich jedoch sicher: Was immer
sie hier finden würde, es war gefährlich.
    Sie machte ein paar ausgreifende, albern aussehende Schritte, um aus
dem flachen Schlammsee herauszukommen, in dessen Zentrum sie der Wagen so
zielsicher abgeladen hatte, blickte missmutig auf das hinunter, was von ihren
ehemals weißen Turnschuhen übrig geblieben war, und stampfte ein paar Mal mit
den Füßen auf. Die Schuhe wurden dadurch nicht wieder weiß (das würden sie nie
wieder), aber vielleicht war es nicht das Dümmste, keine kilometerweit sichtbare Schlammspur zu hinterlassen, wenn man sich ungesehen in
ein Gebäude schleichen wollte.
    Was sie zur nächsten Frage brachte: Wie kam sie hinein?
    Der Eingang war nicht wie beim letzten Mal bewacht, und
sie sah schon aus einer gewissen Entfernung, dass die Tür nur angelehnt war.
Obwohl sie eigentlich noch viel zu weit weg war, meinte sie Geräusche zu hören:
ein emsiges Hantieren und Rascheln, Stimmen, die durcheinanderredeten, ein
Lachen. Als sie sich der Tür näherte und vorsichtig durch den Spalt lugte, sah
sie praktisch nichts, registrierte stattdessen einen schwachen Geruch nach
Chemikalien, und nun identifizierte sie eindeutig zwei Frauenstimmen, die sich
ausgelassen und offensichtlich über größere Entfernung hinweg unterhielten, und
dazu ein dünnes elektrisches Summen. Ihre erste Idee war richtig gewesen. Dort
drinnen tobte sich gerade eine Putzkolonne aus, was sie zu einem neuerlichen
und diesmal besorgten Stirnrunzeln veranlasste. Angesichts der Größe des Trash war es gewiss nicht mit einer oder zwei Putzfrauen
getan, und das Letzte, was sie wollte, war, noch mehr Unbeteiligte in Gefahr zu
bringen.
    Conny zögerte kurz, trat dann wieder von der Tür zurück und begann
das Gebäude zu umrunden. Als sie aus seinem Schatten heraustrat, musste sie
blinzeln. Die Sonne stach so unbarmherzig von einem wolkenlosen Himmel, dass
Conny nun wie blind war und sich mehr von ihren Erinnerungen und Instinkten
leiten ließ als von den verschwommenen Schemen, die durch ihr Blickfeld
huschten. Trotzdem erreichte sie nach wenigen Augenblicken den mit
Gitterelementen eingezäunten Raucherbereich auf der Rückseite.
    unheil stand auf dem mit Graffiti
verzierten Mauervorsprung. Ja, dachte sie bitter. Hier hat das Unheil begonnen,
hier wird es enden.
    Mit einer Bewegung, deren Leichtigkeit und Eleganz sie selbst
erstaunt hätte, hätte sie sie überhaupt zur Kenntnis genommen, stieg sie über
den Zaun hinweg und verzog angewidert das Gesicht, als sie an den
überquellenden Standaschenbechern vorbeikam und ihr der Gestank nach kaltem
Rauch und nass gewordenem Tabak in die Nase stieg. Zu ihrer Enttäuschung war
die Tür abgeschlossen, aber sie musste nur die Hand auf die Klinke legen und
sie prüfend herunterdrücken, um zu spüren, wie morsch und altersschwach die
scheinbar so massiv aussehende Konstruktion war. Conny musste sich nicht einmal
wirklich anstrengen, um das Schloss zu zerbrechen und die Tür aufzuschieben.
Das lauteste Geräusch, das sie dabei verursachte, war das Knirschen der uralten
Angeln, die vermutlich das letzte Mal Öl gesehen hatten, als hier noch
Dampflokomotiven verkehrten. Ein Teil von ihr, der völlig widersinniger Weise
noch immer zu glauben schien, dass es so etwas wie Realität gab und solch
profane Dinge irgendeine Bedeutung hatten, fragte sich grimmig, was die
Versicherungsgesellschaft des Trash wohl zu einer
derart einladend offen stehenden Hintertür sagen würde.
    Sie wandte ihre volle Aufmerksamkeit wieder ihrer Umgebung zu und
glitt vollends durch die Tür, um sie so leise wie möglich hinter sich zu
schließen. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass das Geräusch der rostigen Angeln
wie das Kreischen einer Kreissäge durch das gesamte Gebäude hallte.
    Conny beruhigte sich selbst damit, dass ihre Sinne im

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