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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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trübes Rauschen und zahllose andere, hektische Geräusche, die sie
nicht identifizieren konnte. Etwas schien mit der Zeit nicht zu stimmen. Alle
Bewegungen, die sie sah, liefen grotesk langsam ab, wie bei Tauchern tief unter
Wasser, während ihre eigenen Gesten von dieser sonderbaren Verlangsamung der
Zeit nicht betroffen waren.
    Conny blinzelte, und der unheimliche Effekt (sie erinnerte sich, ihn
schon einmal erlebt zu haben) verschwand so plötzlich, wie er gekommen war. Sie
stemmte sich weiter hoch, presste die Hand gegen den verletzten Ellbogen und
taumelte zur hinteren Tür. Sie war abgeschlossen, aber durch die winzigen
vergitterten Fenster konnte sie etwas Dunkles erkennen, das ein Stück hinter
dem Wagen auf der Straße lag. Menschen kamen herbeigerannt. Jemand schrie.
    Sie vernahm das Geräusch der vorderen Wagentür und Eichholz’ Stimme,
die irgendetwas Unverständliches murmelte. Eine weitere Hupe dröhnte – kurz –
und aufgeregte Stimmen wurden laut. Weit entfernt begann eine Sirene zu heulen,
aber das konnte nur Zufall sein; der Zusammenstoß war gerade einmal ein paar
Sekunden her. Der Motor erstarb mit einem letzten, würgenden Husten, und
Eichholz stemmte sich vollends nach oben, war mit einem taumelnden Schritt
neben ihr und wäre wahrscheinlich augenblicklich wieder gestürzt, hätte die
geschlossene Tür ihn nicht aufgefangen. Sein Blick wirkte leicht verschleiert,
und ein einzelner Blutstropfen sickerte aus seinem schütteren Haar und
hinterließ eine schmierige Spur auf seiner Schläfe. Offenbar, dachte Conny,
hatte er sich ziemlich heftig den Kopf angeschlagen. Gut so.
    Â»Was zum Teufel ist …?«, begann er nuschelig, brach dann mit einem
erschrockenen Keuchen ab und riss die Augen auf, als er sah, was hinter dem
Wagen auf der Straße lag. »Verdammte Scheiße!« Dann brüllte er: »Die Tür auf!
Sofort!« Gleichzeitig begann er wie verrückt mit den flachen Händen gegen die
geschlossenen Türen zu schlagen. Es gab keinen Griff auf der Innenseite.
    Â»Das sollten Sie lieber nicht …«, begann Conny. Aber es war längst zu
spät.
    Einer der beiden Fahrer eilte zu der Gestalt, die lang ausgestreckt
auf dem Asphalt lag und sich aller Logik zufolge nie wieder rühren würde (Conny
dachte voller Entsetzen an den zweiten, grässlich weichen Ruck, mit dem der tonnenschwere Wagen darüber hinweggepoltert war), der andere
machte im letzten Moment kehrt und riss die Türen auf. Eichholz verlor das
Gleichgewicht und gewann es mit wild rudernden Armen zurück, bevor Conny ganz
instinktiv nach ihm greifen wollte, und dann geriet die Wirklichkeit endgültig
aus den Fugen.
    Ihr Leben, so wie sie es kannte, endete …
    Conny wollte dem Fahrer noch eine Warnung zurufen, aber
ihre Stimme versagte. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt, und diesmal schien
sich die Zeit in die entgegengesetzte Richtung zu wenden: Alles um sie herum
geschah mit entsetzlicher Schnelligkeit, während sie in einem unsichtbaren,
zähen Morast gefangen schien, der alle ihre Bewegungen, ja, selbst ihre
Gedanken auf einen Bruchteil ihrer normalen Geschwindigkeit verlangsamte.
    Aber es wäre ohnehin zu spät gewesen. Sie war endgültig zu einer
Zuschauerin in einem Film geworden, der ihr eigenes Leben zeigte.
    Eichholz rief etwas, das vermutlich nicht einmal ihn selbst
interessierte, der Fahrer kniete neben der Gestalt nieder, die lang
ausgestreckt und reglos hinter dem Wagen lag, und musterte erschrocken die
schmutzige Spur, die die Zwillingsreifen des Wagens auf ihrem Rücken
hinterlassen hatten. Irgendetwas in Conny versuchte noch einmal mit
verzweifelter Kraft, sich aus dem Sumpf des Wahnsinns zu ziehen, in dem sie
immer schneller zu versinken drohte, und kapitulierte dann, lautlos und mit
einer Endgültigkeit, die ihr klarmachte, dass sie diese Stimme in ihrem ganzen
Leben nie wieder hören sollte.
    Zum zweiten Mal schnappte die Zeit mit der Gewalt einer überdehnten
Stahlfeder in ihren normalen Ablauf zurück, aber diesmal versuchte sie nicht
mehr, die Zuschauerränge zu verlassen. Sie blieb einfach reglos stehen und
beobachtete. Es dauerte nicht lange.
    Der Fahrer streckte die Hände aus, um die reglose Gestalt in der
schwarzen Pelerine auf den Rücken zu drehen, prallte dann jedoch mit einem
überraschten Aufschrei wieder zurück, als diese sich unsicher zu regen begann
und ihm dann

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