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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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aber
nicht so schlimm. Ihre linke Gesichtshälfte war
angeschwollen und von einem dunkelblauen, fast schwarzen Bluterguss verunziert,
wo sie der Pistolenlauf getroffen hatte, und auch ihre Oberlippe war
angeschwollen und aufgeplatzt. Aber immerhin hatte das Schicksal einen gewissen
Sinn für Symmetrie: Die rechte Wange war mit Dutzenden winziger Riss- und
Stichwunden übersät, wo sie die Splitter der zerborstenen Flasche getroffen
hatten. Die meisten waren so winzig, dass man es im Krankenhaus nicht einmal
für nötig befunden hatte, ein Pflaster daraufzukleben.
    Wenigstens, dachte sie spöttisch, konnte sie in ein paar Tagen
wieder auf die Straße gehen, ohne sofort angesprochen zu werden. Wenn ihre
Blessuren erst einmal verheilt waren, dürften die Fotos, die diese Dummköpfe da
draußen von ihr gemacht hatten, keinen besonderen Wiedererkennungswert mehr
haben.
    Viel mehr Sorge bereitete ihr die gut dreißig Zentimeter lange
Risswunde, die sich von ihrer Schulter bis zur Brust hinunterzog. Sie brannte
wie Feuer, und Conny hatte das unheimliche Gefühl, dass da noch mehr war,
etwas, das sich … darunter bewegte, als wäre irgendein verrückter außerirdischer
Parasit direkt aus dem Drehbuch eines Horrorfilms in ihren Körper eingedrungen
und täte sich nun an ihrem Fleisch gütlich. Der Gedanke war ebenso grotesk wie
verstörend.
    Die Schwester im Krankenhaus hatte behauptet, dass das Pflaster
wasserdicht sei und sie getrost damit duschen oder sogar baden konnte, aber sie
hatte wohl nicht mit einer halben Stunde kochenden Wassers gerechnet. Das
Pflaster hatte sich bereits an den Kanten gelöst und wirkte verschrumpelt. Als
sie es abzog, sah es ein bisschen aus wie ein Streifen abgestorbener Haut, der
sich von ihrer Brust löste.
    Was darunter zum Vorschein kam, veranlasste sie zu einem
überraschten Stirnrunzeln. Anstelle eines außerirdischen Parasiten, der emsig
unter ihrer Haut herumwuselte und nach einem Weg zu den tiefer gelegenen
Leckereien suchte, gewahrte sie kaum mehr als eine Schramme; eine unterbrochene
gepunktete Linie, die aussah wie ein drei Tage alter Kratzer, der spätestens
morgen endgültig verschwunden sein würde. Dabei brannte er immer noch wie
Feuer, was aber wahrscheinlich an dem heißen Wasser lag oder den Unmengen von
Duschgel, die sie verbraucht hatte. Dennoch blieb es eine Schramme, mehr nicht.
    Und trotzdem fünfzig Prozent ihrer Chance, sich mit einem tödlichen
Virus infiziert zu haben. Sie hätte dem verdammten Kerl das Genick brechen
sollen, statt ihn nur zu skalpieren.
    Conny schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse, trocknete sich
flüchtig ab und schlüpfte in ihren Morgenmantel, bevor sie ins Wohnzimmer
zurückging. Ihr Verstand riet ihr, nun endgültig schlafen zu gehen – ein
rascher Blick auf die Uhr erst recht: Es war nahezu drei– aber sie verspürte
plötzlich wieder einen regelrechten Heißhunger auf eine Zigarette. Vielleicht
nur ein paar Züge, um die schlimmste Sucht zu befriedigen. Sie grub den
Plastikbeutel mit ihren persönlichen Dingen aus der Tasche der geliehenen
Polizeijacke und erlitt etwas wie einen stillen inneren Wutanfall, als sie sah,
dass zwar ihr Feuerzeug da war, die Zigaretten aber nicht. Irgendein Witzbold
im Labor musste die angebrochene Packung wohl zu einem wichtigen Beweisstück
erklärt haben … vermutlich Eichholz, und nur aus dem einzigen Grund, sie zu
ärgern. Außerdem war der Kerl der militanteste Nichtraucher, den sie kannte.
Ein weiterer Grund, aus dem er ihr auf Anhieb unsympathisch gewesen war.
    Sie warf den Plastikbeutel ärgerlich auf die Couch und zog die
Schubladen des Sideboards auf, um nach Zigaretten zu suchen. Sie war ziemlich
sicher, keine mehr im Haus zu haben, aber wie hatte Trausch vorhin so treffend
gesagt: Man konnte schließlich nie wissen.
    In diesem Fall schon. Sie wurde nicht fündig und überlegte gerade,
vielleicht auch noch die Küche ein wenig zu verwüsten, als eine sonderbar
weiche Stimme hinter ihr sagte: »Eine widerliche Angewohnheit, wenn du mich
fragst.«
    Conny erstarrte, als etwas wie ein eisiger Hauch durch das
Zimmer zu wehen schien; für eine halbe Sekunde, vielleicht etwas weniger, dann
fuhr sie wie von der sprichwörtlichen Tarantel gestochen herum und hätte um ein
Haar aufgeschrien, als sie die hoch gewachsene, nahezu vollkommen in Schwarz
gekleidete Gestalt erblickte, die

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