Unheil
geworden, während ihre geschwollene
Lippe schon wieder deutlich besser aussah. Nicht, dass sie sich so in die
Ãffentlichkeit wagen würde (oder gar vor eine Kamera). Gutes Heilfleisch, hatte
ihre Mutter immer gesagt. Anscheinend traf das zu.
Ein anhaltendes Blubbern und der Duft von frisch gebrühtem Kaffee,
die aus der Küche herüberwehten, machten ihr klar, dass sie genug Zeit mit
ihrer Morgentoilette verschwendet hatte. Sie schlüpfte wieder in den
zerknitterten Bademantel von gestern, ging in die Küche und goss sich einen
Kaffee ein. Die erste Tasse stürzte sie schwarz und so heià herunter, wie sie
es gerade noch ertrug, schenkte sich unmittelbar darauf eine zweite ein und
stellte sie auf den Tisch, um sie abkühlen zu lassen. Während sie darauf
wartete, dass die belebende Wirkung des Koffeins einsetzte, streifte sie den
Bademantel ab und trat an den Schrank, um sich anzuziehen.
Erst als sie fertig war, fiel ihr Blick in den groÃen Spiegel, der
an der Innenseite des Schrankes angebracht war, und sie stutzte.
Genauer gesagt wusste sie zunächst nicht, ob sie lachen oder
vielleicht schon wieder besorgt sein sollte. Sie war der Meinung gewesen,
wahllos nach den erstbesten Kleidungsstücken gegriffen zu haben, die ihr in die
Hände fielen, aber wenn, dann war es wirklich ein sehr groÃer Zufall.
Sie war vollkommen schwarz gekleidet: schwarze Sandalen und Socken,
schwarze Jeans und ein anthrazitfarbener Pullover, was von aller Oberbekleidung,
die sie besaÃ, das war, was schwarz noch am nächsten
kam.
Wahrscheinlich war es wirklich nur ein Zufall, versuchte sie sich
selbst zu beruhigen. Oder sie musste ein bisschen mehr auf ihre Träume achten.
Sie war ernsthaft versucht, sich wieder umzuziehen, allerdings auch
viel zu müde, um diesen Entschluss in die Tat umzusetzen. AuÃerdem wäre es ihr
irgendwie so vorgekommen, als hätte sie damit vor dem Traum kapituliert.
Die Wohnung stank nach kaltem Zigarettenrauch und Asche. Das tat sie
praktisch immer, aber aus irgendeinem Grund störte es sie heute. Sie ging zum
Fenster, öffnete es und wollte sich um ihren zweiten Kaffee kümmern, als ihr
Blick in den Aschenbecher fiel. Und sie erstarrte.
Auf dem zerschrammten Kristallglas lag eine ausgedrückte filterlose
Zigarette.
Ihr Herz begann zu klopfen, und sie konnte sich zusammenreiÃen,
sosehr sie wollte, ohne dass ihre Hände deshalb weniger zitterten. Das war
unmöglich. Wenn diese Zigarette echt war, dann bedeutete das, dass auch ihr
unheimlicher Besucher von gestern Abend â¦
Nein. Sie gestattete sich nicht einmal,
den Gedanken zu Ende zu denken. Ihre Begegnung gestern im Trash (und vor allem ihre eigene Reaktion) war bizarr genug gewesen, aber jetzt auch
nur die bloÃe Möglichkeit in Betracht zu ziehen, war
grotesk. Es musste für diese Zigarette eine logische Erklärung geben, und sie
würde sie finden â wenn nicht sie, wer dann? Sie war Polizistin. Sie hatte
gelernt, scheinbar unlösbare Rätsel zu lösen.
Und natürlich löste sie auch dieses. Sie rauchte keine filterlosen
Zigaretten â schon gar keine selbst gedrehten. Doch sie erinnerte sich gut
daran, gestern Abend einen heftigen Suchtanfall bekommen zu haben; etliche
Schubladen, die sie durchwühlt hatte, standen immer noch offen. Wahrscheinlich
hatte sie die Zigarette in irgendeiner Ecke gefunden â weià der Teufel, wer das
Ding hier vergessen hatte â und genauso wahrscheinlich war sie Monate alt, wenn
nicht mehr. Kein Wunder, dass sie wie gepresster Kuhdung geschmeckt hatte.
Die Erklärung klang selbst in ihren eigenen Ohren reichlich
konstruiert. Immerhin war es eine Erklärung, und für
den Moment musste sie reichen.
Das Telefon klingelte, und sie fuhr erschrocken zusammen und sah den
Apparat an, der noch immer ausgeschaltet und tot neben dem Ladegerät lag, wo Trausch
ihn gestern hingelegt hatte. Es klingelte trotzdem fröhlich weiter; und
auÃerdem in der falschen Tonlage. Und aus der falschen Richtung. Das Klingeln
kam aus der Tasche der geliehenen Polizeijacke.
Sie hob sie auf, förderte den Apparat zutage und klappte ihn mitten
im vierten oder fünften Klingeln auf. Es war Trausch.
»Wir haben ihn«, sagte er übergangslos.
»Wen?«
»Den Vampir. Oder jedenfalls so gut wie. Sind Sie in Ordnung?«
»Ja, aber â¦Â«
»Dann hole ich Sie in einer halben Stunde ab. Sagen wir, in
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