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Unheil

Unheil

Titel: Unheil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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und verbreiterte sich und kam in einer unregelmäßigen Linie rasch auf ihn zu. Er hatte gerade noch Zeit, zwei Kinder und eine Frau zu bemerken, und jenseits von ihnen einen Mann mit einem Fahrrad, bevor der Erdboden sich öffnete und sie in den schwarzen Abgrund verschwanden. Die Häuser zu seiner Linken stürzten ein und rutschten in den sich weitenden Spalt. Ein ungeheurer dumpfer Lärm er- füllte die Luft, als die Erde auseinandergerissen wurde, wie eine ununterbrochene Reihe von Donnerschlägen. Zu seinem Entsetzen merkte er, daß die Straße unter seinem Wagen aufplatzte. Er öffnete die Tür, aber zu spät — der Wagen kippte seitlich um und begann zu fallen. Die Tür wurde zu- geschlagen, und Holman war im Inneren gefangen.
    Für die Dauer eines Augenblicks steckte der Wagen fest, doch als die Kluft sich weitete, rutschte er weiter abwärts. Holman geriet in Panik, schrie vor Angst, aber es gab kein Halten; der Wagen stürzte steil abwärts, nur von den rauhen Erdflanken der Spalte am freien Fall gehindert. Nach einer Ewigkeit, die tatsächlich nur ein paar bange Sekunden gewährt haben konnte, verkeilte sich der Wagen wieder, und er lag auf das Lenkrad gepreßt und starrte hinab in furchterregende Schwärze. Er war erstarrt, vom Schrecken gelähmt. Langsam begann sein Gehirn wieder zu arbeiten. Er mußte nahe dem Ende der Spalte sein, wo die Seiten nicht allzu weit auseinanderklafften. Weitete sie sich aber noch mehr, so würde der Wagen in die schwarze Tiefe ab- stürzen. Er versuchte, zur Straßenebene aufzublicken, konnte durch die wirbelnden Staubwolken aber nichts er- kennen.
    Die Angst trieb ihn zum Handeln. Er wollte sich aufrichten, aber die jähe Bewegung ließ den Wagen einen weiteren halben Meter abrutschen. Holman zwang sich zur Ruhe. Während er versuchte, seinen stoßweise keuchenden Atem unter Kontrolle zu bringen, erfüllte der Lärm einstürzender Mauern, splitternden Glases und herabpolternder Erdbrocken seine Ohren. Vorsichtiger als beim ersten Versuch schob er sich über die Sitzlehne auf die rückwärtige Sitzbank, erstarrte, als der Wagen abermals in Bewegung geriet, doch diesmal blieb es ein unbedeutendes Nachgeben. Nach- dem er einige angespannte Augenblicke gewartet hatte, begann er das hintere Seitenfenster herunterzukurbeln. Zwischen dem Wagen und dem Rand des Abgrundes war gera- de ausreichend Raum, daß er sich durchzwängen konnte. Lockeres Erdreich fiel durch das offene Fenster herein und belastete das im labilen Gleichgewicht hängende Fahrzeug zusätzlich.
    Er ließ alle Vorsicht fahren, krabbelte durch und suchte an der bröckelnden Wand aus Fels und Erde Halt, erwartete je- den Moment den endgültigen Absturz des Wagens in die Tiefe unter ihm. Volle fünf Minuten harrte er so aus, das Gesicht gegen die Erde gedrückt, verzweifelt an die trügerische Oberfläche geklammert.
    Der Staub begann sich zu setzen, und er blickte angstvoll umher. Nach den unregelmäßigen Rändern der Spalte zu urteilen, hatte das Erdbeben den Boden in einer Länge von wenigstens fünfhundert Metern aufgerissen. Die abschüssigen Stellen schienen jetzt zur Ruhe gekommen zu sein, ob- wohl noch immer Gestein und Erdbrocken in die scheinbar bodenlose Tiefe hinabpolterten. Er spähte in die Dunkelheit unter seinen Füßen und erschauerte. Es war, als hätten sich die Eingeweide der Erde aufgetan; die Schwärze erschien unendlich.
    Eine leichte Erschütterung ging durch den Boden, und Holman preßte Hände und Gesicht wieder in die Erde und erwartete mit wildem Herzklopfen, daß die Griffe und Tritte unter seinem Gewicht ausbrechen würden.
    Dann drang dünnes Jammergeschrei an seine Ohren und zwang ihn, die Augen wieder zu öffnen. Er spähte umher und sah eine kleine Gestalt auf einer schmalen, überschüssigen Kante in der gegenüberliegenden Erdwand, ungefähr zwanzig Meter entfernt. Es mußte eines der Kinder sein, die er vorher auf der Straße gesehen hatte. Das kleine Mädchen. Von dem Jungen, der bei ihr gewesen war, gab es keine Spur. Das Kind wimmerte und schrie zum Erbarmen.
    Holman erkannte, daß sie sich an dem lockeren Steilhang nicht mehr lange würde halten können, wenn er ihr nicht zu Hilfe kam. Er rief zu ihr hinüber, aber sie reagierte nicht. Darauf hielt er Umschau und überlegte, wie er den Abgrund überqueren und zu ihr gelangen könnte. Sie war ungefähr drei Meter über ihm und zehn Meter unter der Straßenebene. Sie kletternd zu erreichen, konnte nicht allzu schwierig sein,

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