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Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien

Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien

Titel: Unheilige Gedanken auf dem Heiligen Weg, mein Jakobsweg quer durch Spanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Milde
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mehr noch, die Hektik in meinem Kopf, in Besitz. Santiago de Compostela ist ja nicht nur Pilgerziel, wie z. B. das in meiner bayerischen Heimat gelegene Altötting, sondern auch eine Großstadt mit Einfallstraßen, viel Verkehr, interessanten Neubauten, die in stiller Eintracht mit Häusern aus dem Barock nebeneinander stehen. Ich verabschiede mich schon einmal innerlich von meinem geliebten Jakobsweg. Dem Teil des Weges, der mich in die Stille führte, mir Raum gab für innere Prozesse und verändernde Einsichten.
    Aber auch jetzt ist die Lektion klar: "Hör auf, wo anders sein zu wollen, als du gerade bist! Sich gegen Gegebenheiten aufzulehnen, die einmal so sind, wie sie sind, ist verrückt und führt zu schlechter Laune und auf Dauer zu Krankheiten." "Ja, ja", kontere ich mir selbst auf diesen klugen Gedanken, "aber manchmal macht es einfach keinen Spaß, da zu sein, wo es einem nicht gefällt!" Ich gehe mit gesenktem Kopf weiter, als könne ich damit die Stadt mit ihrem Gewusel ausblenden. Ich komme an der Herberge Acuarius vorbei und frage nach, ob es noch Platz gibt. Ich bekomme ein Bett und darf auch eines für "meinen Mann" reservieren. Ich deponiere meinen Schlafsack auf einem Bett für Freddy und meinen Rucksack auf einem zweiten Bett, nehme nur das notwendigste in meiner Hüfttasche mit und bahne mir meinen Weg weiter durch den Asphaltdschungel. Ich bin froh zu wissen, wo ich heute Nacht schlafen würde. In der Großstadt fühle ich mich verlorener als in freier Wildbahn. Und jetzt habe ich wenigstens das gute Gefühl zu wissen, wo ich wohne.
    Ohne Rucksack zu gehen ist für mich ein bisschen komisch. Am liebsten würde ich jedem, der mir entgegenkommt, sagen, dass ich eine Pilgerin bin, die gerade an die 900 Kilometer zu Fuß hinter sich gebracht hat. Langsam mache ich mir Gedanken über mich. Hatte ich mir zu viel zugemutet? Hatte ich einen Knacks bekommen? War ich jetzt nicht mehr ganz normal? Ich benahm mich ja schon höchst eigenartig, jedenfalls in Gedanken. Ich beschließe, mich vorerst nicht aufzuregen und jetzt endlich in der Kathedrale, meinem großen Ziel, anzukommen.
    Als ich die Altstadt durch die sogenannte Pilgerpforte, der Porta do Camino, betreten habe, geht es mir schlagartig besser. Kleine Gassen und hübsche Läden, wuchtige Bauten aus dem Barocco Compostelano, sowie gotische Paläste und romanische Kirchen fesseln meine Aufmerksamkeit. Die traditionsreichen Universitäten sorgen dazu mit ihren Studenten für sprühende, junge Atmosphäre in historischen Mauern. Es ist eine beeindruckende Stadt mit großartigen Bauwerken in unverwechselbarem Stil und wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt.
    Und dann, ganz plötzlich und fast unerwartet, so kommt es mir vor, stehe ich auf diesem weiten Platz vor der Kathedrale. Wie ausgestreute Blumen liegen Rucksäcke herum, hocken Pilger mit wirrem Haar, glänzenden Augen und irrem Lächeln in Grüppchen zusammen. Sicher spiegelt sich mein verwirrter Geisteszustand in deren Gesicht. Ich fühle eine Mischung aus Freude, es geschafft zu haben und Warten auf irgendetwas Besonderes. Es müssten doch jetzt Fanfaren erschallen, Feuerwerkskörper im Himmel aufblitzen, Champagnerkorken knallen! Nichts von alledem geschieht. Es ist so unspektakulär, hier angekommen zu sein.
    Ich fühle mich leer und weiß, dass ich mich jetzt nicht so fühlen sollte. Ich sollte dankbar sein und voller Enthusiasmus und bin es nicht. Ich frage ein fremdes Gesicht, wo ich meine Pilgerurkunde bekäme, und erfahre es. "Gleich werde ich mich besser fühlen", denke ich, "wenn ich erst meine Urkunde in Händen halte!" Es geht zu wie in einer Großstadtpost. An verschiedenen Schaltern sitzen Frauen mit gleichgültigem Gesichtsausdruck. Ich werde von einer gefragt wie ich heiße, woher ich komme und wo ich losgepilgert sei. Sie inspiziert meinen Pilgerausweis, mein Credencial del Peregrino, mit den vielen Stempeln wie ein Beamter an der Grenze nach Amerika einen Reisepass, und dann halte ich meine Compostela in Händen. Ich heiße darauf "Lauram Mildem". Na, das klingt doch irgendwie gut. Trotzdem fühle ich mich nicht besser. Hätte diese Pilgerurkundenausstellerin nicht in Jubelrufe ausbrechen müssen, ob meiner Ankunft nach fast 900 Kilometern, die ich zu Fuß, mit schwerem Gepäck beladen, besonders innerem, quer durch Spanien gestapft bin? Mein innerer Kritiker fragt mich, ob ich jetzt komplett spinne und ich ärgere mich über mich selbst, ärgere mich darüber, dass ich

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