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Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay

Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay

Titel: Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
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Intelligenzija«, seine Bedeutung als Künstler und die seines Einflusses zu schmälern; doch es dürfte jedem reifen und nachdenklichen Kritiker schwer fallen, den ungeheuren Wert seines Werkes und die überzeugende Kraft seines Geistes bei der Eröffnung künstlerischer Horizonte abzustreiten. Es stimmt, seine Anschauungsweise mag mancher vorweggenommen haben; doch Poe war es, der als erster ihre Möglichkeiten erkannt und ihr höchste Form und systematischen Ausdruck gegeben hat. Es stimmt auch, dass spätere Schriftsteller wohl einzelne Erzählungen hervorgebracht haben mögen, die großartiger sind als seine; doch wiederum müssen wir begreifen, dass allein Poe es war, der diese Autoren durch Beispiel und Vorschrift erst die Kunst gelehrt hat, die sie, nachdem ihnen der Weg gebahnt worden und ihnen ein erklärter Führer zur Verfügung stand, vielleicht weiter voranzutreiben fähig waren. Was immer auch seine Beschränkungen sein mögen: Poe tat das, was kein anderer jemals tat oder getan haben könnte. Und ihm verdanken wir die moderne Horrorstory in ihrer endgültigen und vollendeten Form.
    Vor Poe hatte die Masse der Verfasser unheimlicher Geschichten weitgehend im Dunkel gearbeitet; sie verstanden nichts von der psychologischen Grundlage der Anziehungskraft des Grauens; ihre Arbeit war dadurch gehemmt, dass sie sich, mehr oder weniger bestimmten leeren literarischen Konventionen anpassten - HappyEnd, belohnte Tugend - und ganz allgemein einer hohlen moralischen Lehrhaftigkeit entsprachen, dass sie populäre Maßstabe und Werte akzeptierten, dass sie als Autor bestrebt waren, eigene Gefühle in die Geschichte einfließen zu lassen und sich auf die Seite jener zu schlagen, die die erkünstelten Ideen der Mehrheit verteidigten. Poe andrerseits erkannte das im wesentlichen
    Unpersönliche des wahren Künstlers, und er wusste, dass es die Funktion schöpferischer Literatur sei, Ereignisse und Empfindungen lediglich so auszudrücken und zu deuten, wie sie sind, ohne Rücksicht darauf, in welche Richtung sie zielen oder was sie beweisen - gut oder böse, anziehend oder abstoßend, anregend oder bedrückend, wobei der Autor immer als lebhafter und distanzierter Chronist handelt, nicht aber als Lehrer, Sympathisant oder Meinungshändler. Er sah deutlich, dass alle Phasen des Lebens und Denkens für den Künstler als Gegenstände gleichermaßen in Frage kommen, und da er von seinem Temperament her zu Absonderlichkeit und Schwermut neigte, entschloss er sich, zum Deuter jener machtvollen Gefühle und häufigen Geschehnisse zu werden, die eher den Schmerz begleiten als die Lust, eher den Verfall als das Entstehen, eher den Schrecken als die Gelassenheit; und das sind auch jene Gefühle und Geschehnisse, die dem Geschmack und den überkommenen äußerlichen Regungen der Menschheit, der körperlichen wie geistigen Gesundheit und dem normalen umfassenden Wohlergehen der ganzen Gattung von Grund aus entweder zuwiderlaufen oder alledem gleichgültig gegenüberstehen.
    Poes Phantome nahmen daher eine überzeugende Bösartigkeit an, wie sie keine ihrer Vorgänger besaßen, und setzten einen neuen Maßstab des Realismus in den Annalen des literarischen Grauens. Der unpersönlichen und künstlerischen Absicht kam darüber hinaus noch eine wissenschaftliche Einstellung zur Hilfe, wie sie vorher nicht oft zu finden war; mit dieser studierte Poe mehr den menschlichen Geist als die Gepflogenheiten der Schauerliteratur, und er arbeitete mit einem analytischen Wesen über die Quellen des Schreckens, was die Kraft seiner Erzählungen verdoppelte und ihn von allen Absurditäten befreite, die der lediglich konventionelle Erzeugung von Schauder innewohnen. Als dies Beispiel erst einmal gesetzt war, sahen sich spätere Autoren natürlich gezwungen, sich ihm anzugleichen, um überhaupt noch mithalten zu können, so dass auf diese Weise ein definitiver Wandel auf den Hauptstrom literarischen Grusels sich auszuwirken begann. Poe war auch tonangebend im Hinblick auf vollendete Kunstfertigkeit; und obwohl heute manches in seinem Werk etwas melodramatisch und naiv erscheint, können wir doch ständig seinen Einfluss in mancherlei Dingen aufspüren: wie etwa in einer Erzählung eine einzige Stimmung durchgängig aufrechterhalten und ein einziger Eindruck gezielt erreicht wird, und wie die Handlung rigoros auf solche Vorfälle zurechtgestutzt wird, die eine direkte Auswirkung auf den
    Ablauf haben und dann auf dem Höhepunkt eine wichtige Rolle

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