Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay
Teufelsströmung und hineingezogen in einen Strudel von gespenstischem Leuchten, eine Fahrt, die in Zerstörung enden muss?
Dann ist da der unaussprechliche »M. Valdemar«, der nach seinem Tode sieben Monate lang durch Hypnose körperlich zusammengehalten wird und wilde Töne von sich gibt, kurz bevor der gebrochene Bann ihn als »eine nahezu flüssige Masse von ekelhafter, ja abscheulicher Fäulnis« zurücklässt. In der NARRATIVE OF A. GORDON PYM erreichen die Reisenden zunächst ein seltsames Land am Südpol, von mörderischen Wilden bevölkert, wo nichts weiß ist und wo weite, felsige Schluchten die Form titanischer ägyptischer Buchstaben haben, die von schrecklichen Urgeheimnissen der Erde
erzählen; danach kommen sie in noch geheimnisvollere Gefilde, wo alles weiß ist und weißverhüllte Giganten und schneegefiederte Vögel den kryptischen Katarakt einer Nebelwand bewachen, der sich aus unermesslichen himmlischen Höhen in ein kochendes milchiges Meer ergießt. »Metzengerstein« schreckt mit unheilverheißenden Andeutungen einer monströsen Metempsychose - der wahnsinnige Edelmann, der die Stallungen seines Erbfeindes in Brand steckt; das riesige unbekannte Pferd, das aus dem brennenden Gebäude hervorkommt, nachdem der Besitzer darin umgekommen ist; das verschwindende Stück eines alten Wandteppichs, auf dem das gigantische Pferd eines Vorfahren des Opfers in den Kreuzzügen dargestellt war; die wilden und anhaltenden Ausritte des Wahnsinnigen auf dem großen Pferd und seine Angst vor dem Ross, das er hasst; die bedeutungslosen Prophezeiungen, die düster über den sich befehdenden Familien dräuen; bis schließlich der Palast des Wahnsinnigen abbrennt und sein Besitzer darin zu Tode kommt, da nämlich das Tier, das er so seltsam geritten, ihn wehrlos im Sattel die große Treppe hinauf- und hineinträgt. Danach nimmt der Rauch, der aus den Ruinen aufsteigt, die Gestalt eines gigantischen Pferdes an. »The Man of the Crowd« erzählt von einem Mann, der Tag und Nacht die Straßen durchstreift, um in den Menschenstrom einzutauchen, als fürchte er sich davor, allein zu sein; die leiseren Wirkungen dieser Geschichte nehmen ihr jedoch nichts von der kosmischen Angst, die in ihr umgeht. Poes Sinn war nie weit entfernt von Terror und Verfall, und in jeder Erzählung, jedem Gedicht und in jedem philosophischen Dialog sehen wir ein gespanntes Verlangen am Werk, die unergründeten Brunnen der Nacht auszuloten, den Schleier des Todes zu durchstoßen und in der Phantasie als Gebieter über die entsetzlichen Mysterien von Zeit und Raum zu herrschen.
Gewissen Erzählungen Poes eignet eine künstlerische Form von nahezu absoluter Vollendung, was sie zu veritablen Leuchtfeuern auf dem Gebiet der Kurzgeschichte macht. Poe konnte, wenn er wollte, seiner Prosa eine satte poetische Prägung geben und sich jenes archaischen und orienfalisierten Stils von funkelnden Wendungen, gleichsam biblischen Wiederholungen und refrainartigem Grundton zu bedienen, wie ihn spätere Autoren wie Oscar Wilde und Lord Dunsany so wirkungsvoll einzusetzen wussten; und in den Fällen, wo er das getan hat, entstand eine Wirkung lyrischer Phantasie, die ihrem Wesen nach nahezu narkotisierend ist - ein Opiunigepränge des Traumes in der Sprache des Traumes, darin jede unnatürliche Farbe und jedes groteske Bild in einer Symphonie korre-
spondierender Klänge Gestalt annimmt. »The Masijue of the Red Death«, »Silence, a Fable« und »Shadow, a Parable« sind gewiß Gedichte in jeder Bedeutung des Wortes, außer im metrischen Sinne, und sie verdanken ihre Kraft den lautlichen Kadenzen ebensosehr wie der malerischen Bildlichkeit. Doch es sind zwei der weniger unverhohlen poetischen Erzählungen, nämlich »Ligeia« und vor allem »The Fall of the House of Usher«, in denen man den Gipfel künstlerischer Vollendung erreicht findet, und mit denen Poe seinen Platz an der Spitze der Meister erzählerischer Kurzformen einnimmt. Einfach und direkt im Handlungsablauf, verdanken diese beiden Erzählungen ihren überragenden Zauber der virtuosen Entfaltung, die in der Auswahl und Anordnung noch des kleinsten Vorfalls sich zeigt. »Ligeia« erzählt die Geschichte einer Frau von stolzer und mysteriöser Herkunft, die nach ihrem Tode durch übernatürliche Willenskräfte zurückkehrt, um vom Körper der zweiten Gemahlin ihres Mannes Besitz zu ergreifen, wobei sie im letzten Augenblick dem zeitweilig wiederbelebten Leichnam ihres Opfers sogar ihre eigene
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