Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay
des Unheimlichen, stets sanft, schwer faßbar und verhalten, lassen sich durch sein ganzes Werk verfolgen. Die Stimmung, aus der sie hervorgingen, fand einen entzückenden Ausdruck in den teutonisierten Nacherzählungen klassischer Mythen für Kinder, enthalten in den Bänden A WONDER BOOK und
TANGLEWOOD TALES; in anderen Fällen äußerte sie sich in einer gewissen Seltsamkeit und einer ungreifbaren Hexerei oder Bösartigkeit, die sie über Ereignisse warf, die eigentlich nichts Übernatürliches haben sollen; so etwa in dem makabren postumen Roman DR. GRIMSHAWES SECRET, der ein Haus, das bis zum heutigen Tage in Salem steht und dort an den alten Charter Street Friedhof grenzt, mit eigentümlich abscheuerregenden Eigenschaften belegt. In THE MARBLE FAUN, dessen Grundzüge in einer italienischen Villa skizziert wurden, in der es angeblich spukte, bebt gleich hinter dem, was der normale Leser erblickt, ein ungeheurer Hintergrund wahrhaft phantastischer und mysteriöser Dinge, und Hinweise auf mythisches Blut in sterblichen Adern tauchen immer wieder im Verlauf einer Romanze auf, die einfach interessant sein muss, obwohl ständig der Alp moralischer Allegorie und anti-päpstlicher Propaganda auf ihr lastet, dazu eine puritanische Prüderie, die den modernen Schriftsteller D. H. Lawrence den Wunsch zum Ausdruck bringen ließ, den Autor auf äußerst unwürdige Art und Weise zu behandeln. SEPTIMIUS FELTON, ein postumer Roman, dessen Idee in erweiterter Form in die unvollendete DOLLIVER ROMANCE hätte eingehen sollen, rührt in mehr oder minder kompetenter Weise an das Thema des Lebenselixiers, während die Notizen für eine nie geschriebene Erzählung, die »The Ancestral Footstep« heißen sollte, zeigen, was Hawthorne mit einer eingehenden Behandlung eines alten englischen Aberglaubens getan hätte - dem eines alten und verfluchten Geschlechts, dessen Angehörige blutige Fußspuren hinterlassen, ein Thema, das übrigens auch in SEPTIMIUS FELTON und DR. GRIMSHAWE'S SECRET auftaucht.
Viele der kürzeren Erzählungen Hawthornes zeigen das Unheimliche in einem bemerkenswerten Maß, ob nun in der Atmosphäre oder aber im Geschehen. »Edward Randolph's Portrait« aus LEGENDS OF THE PROVINCE HOUSE hat diabolische Momente. »The Minister's Black Veil« (auf einer wahren Begebenheit beruhend) und »The Ambitious Guest« lassen mehr erahnen als sie aussprechen, während »Ethan Brand«, Fragment eines längeren, nie vollendeten Werkes, sich zu wahren Gipfeln kosmischer Angst erhebt - mit dem Bild des wilden gebirgigen Landes und der flammenden, verlassenen Kalköfen und der Beschreibung des Byronschen »Sünders wider den Heiligen Geist«, dessen verworfenes Leben mit schallendem, entsetzlichen Gelächter in der Nacht endet, als er inmitten der Flammenlohe seine Ruhe sucht. Einige Notizen Hawthornes berichten von unheimlichen Geschichten, die er, hätte er länger gelebt, geschrieben hätte; in einem besonders lebendigen Handlungsentwurf geht es um einen
Fremden, der für Verwirrung sorgt, indem er hin und wieder in öffentlichen Versammlungen auftaucht, und als man ihm schließlich folgt, stellt sich heraus, dass er einem uralten Grab entsteigt, in das er wieder zurückkehrt.
Doch an erster Stelle als vollendete künstlerische Einheit unter all den unheimlichen Werken Hawthornes steht der berühmte und so vorzüglich gearbeitete Roman THE HOUSE OF THE SEVEN GABLES, in dem erbarmungslose Erfüllung eines ererbten Fluchs mit erstaunlicher Kraft gestaltet wird, und zwar vor dem düsteren Hintergrund eines sehr alten Hauses in Salem - einem jener spitzgotischen Gebilde, die die ersten richtigen Bauten in unseren neuenglischen Küstenstädten waren, dann aber nach dem 17. Jahrhundert den vertrauteren Walmdach-Häusern oder klassischen georgianischen Bauformen wichen, die man heute als »Kolonialstil« bezeichnet. Von diesen alten, gotisch-giebeligen Häusern sind heute in den gesamten Vereinigten Staaten kaum noch ein Dutzend im ursprünglichen Zustand zu finden; eines allerdings, das Hawthorne sehr gut kannte, steht immer noch in der Turner Street in Salem, wo es mit zweifelhafter Gewähr als Schauplatz und Inspiration des Romans gezeigt wird. Ein solches Gebäude mit seinen gespenstischen Spitzen, seinen aneinanderklebenden Schornsteinen, seinem überhängenden zweiten Geschoss, seinen grotesken Eckkonsolen und den Rautenscheiben der Gitterfenster ist gewiss als Gegenstand sehr gut gewählt, um düstere Betrachtungen
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