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Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay

Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay

Titel: Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
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heraufzubeschwören, verkörpert es doch typisch das dunkle puritanische Zeitalter verborgenen Grauens und Hexengeflüsters, das der Schönheit, Rationalität und Weitläufigkeit des 18. Jahrhunderts vorausging. Hawthorne hat viele dieser Häuser in seiner Jugend gesehen, und er kannte die schwarzen Legenden, die sich um manche von ihnen rankten. Er hörte auch viele Gerüchte über einen Fluch, den seines Urgroßvaters Härte als Richter in den Hexenprozessen von 1692 über seine Familie gebracht haben sollte. Aus diesem Hintergrund heraus entstand die unsterbliche Geschichte, Neu-Englands größter Beitrag zur unheimlichen Literatur, und wir spüren sofort die Authentizität der Atmosphäre, die uns geschildert wird. Verborgenes Grauen und ein heimliches Leiden lauern in den schwarzverwitterten, moosverkrusteten und ulmenumschatteten Mauern des archaischen Hauses, das uns so lebhaft vor Augen geführt wird, und wir begreifen, dass über diesem Ort ein Unheil brütet, wenn wir lesen, dass sein Erbauer, der alte Colonel Pyncheon, das Land mit besonderer Ruchlosigkeit seinem ursprünglichen Besitzer Matthew Maule entrissen hat, den er im Jahr
    des Schreckens als Hexer zum Galgen verurteilte. Maule verfluchte im Sterben den alten Pyncheon - »Gott wird ihm Blut zu trinken geben« -, und das Wasser des alten Brunnens auf dem enteigneten Land wurde bitter. Maules Sohn, ein Zimmermann, erklärte sich bereit, das große Giebelhaus für den triumphierenden Feind seines Vaters zu bauen, doch am Tag seiner Einweihung starb der alte Colonel unter seltsamen Umständen. Dann folgten durch Generationen merkwürdige Wechselfälle des Schicksals, und es wurde insgeheim von dunklen Kräften der Maules gemunkelt, da die Pyncheons manchmal ein schreckliches Ende nahmen. Die Missgunst, die das alte Haus überschattet - das fast ebenso lebendig ist wie das Haus Usher bei Poe, wenn auch auf subtilere Weise -, durchzieht die Geschichte, wie ein wiederkehrendes Motiv eine tragische Oper durchzieht; und als die Haupthandlung des Romans erreicht wird, erblicken wir die jetzigen Pyncheons in einem bemitleidenswerten Zustand des Verfalls. Der arme alte Hepzibah ist eine ekzentrische, verarmte Dame; der unglückliche Clifford mit dem kindlichen Gemüt wurde gerade aus einer unverdienten Gefängnishaft entlassen; in dem listigen und niedertächtigen Richter Pyncheon kommt noch einmal der alte Colonel zum Vorschein: alle diese Gestalten sind ungeheure Symbole, und sie passen sehr gut zu der verkümmerten Vegetation und dem blutarmen Federvieh im Garten. Es ist fast zu bedauern, dass die Geschichte ein leidlich glückliches Ende nimmt, wenn die muntere Phoebe, Cousine und letzter Spross der Pyncheons, mit dem einnehmenden jungen Mann, der sich als letzter Nachfahr der Maules erweist, eine Verbindung eingeht. Diese Verbindung beendet vermutlich den Fluch. Hawthorne vermeidet alles Gewalttätige in Diktion und im Handlungsverlauf, und er hält seine Andeutungen unausgesprochenen Schreckens gezielt im Hintergrund; doch wenn diese gelegentlich aufblitzen, so reicht das vollauf, um die geschaffene Stimmung zu erhalten und das Werk vor der Leblosigkeit reiner Allegorie zu bewahren. Vorfälle wie das Verhexen von Alice Pyncheon im frühen 18. Jahrhundert und die geisterhafte Musik ihres Cembalos, die vor einem Todesfall in der Familie erklingt - was übrigens die Variante eines arischen Mythos von unvordenklichem Typus ist -, verknüpfen die Handlung direkt mit dem Übernatürlichen; hingegen ist die nächtliche Totenwache des alten Richters Pyncheon in dem uralten Wohnzimmer mit seiner entsetzlich tickenden Uhr schierer Horror der trefflichsten und echtesten Sorte. Die Art, wie eine vor dem Fenster schnüffelnde und umherstreifende seltsame Katze den Tod des Richters ahnen lässt, lange bevor der Tatbestand vom Leser oder von einer der
    handelnden Gestalten vermutet wird, ist ein Geniestreich, den selbst Poe nicht hätte übertreffen können. Später steht diese Katze die Nacht über und am folgenden Tag vor demselben Fenster und wacht und beobachtet angestrengt - etwas. Es ist eindeutig der übersinnliche Glanz des Urmythos, der mit unendlicher Kunstfertigkeit dem Handlungsraum einer späteren Zeit angepasst wurde. Aber Hawthorne hinterließ keine wohldefinierten literarischen Nachwirkungen. Seine Stimmung und seine Einstellung gehörten einem Zeitalter an, das mit ihm zu Ende ging; es ist vielmehr der Geist Poes - der so klar und realistisch die

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