Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay
natürliche Grundlage der Faszination des Grauens und das wahre Verfahren, sie zu erzielen, erkannt hatte -, der fortlebte und aufblühte. Zu Poes frühesten Schülern lässt sich der brillant junge Ire Fitz-James O'Brien (18281862) zählen, der als naturalisierter Amerikaner einen ehrenvollen Tod im Bürgerkrieg fand. Er war es, der uns mit »What Was It?« die erste gelungene Kurzgeschichte über ein greifbares, doch unsichtbares Wesen und damit das Urbild von Maupassants HORLA schenkte; er schuf auch die unnachahmliche »Diamond Lens«, in der ein junger Mann am Mikroskop sich in eine junge Frau aus einer unendlichen Welt verliebt, die er in einem Wassertropfen entdeckt hat. Durch O'Briens frühen Tod ist die Literatur zweifellos um einige meisterhafte Geschichten des Absonderlichen und des Schreckens ärmer geblieben, wenn auch seine Begabung, offen gesagt, nicht von der gleichen titanischen Größe war, wie sie Poe und Hawthorne auszeichnete.
Dieser Größe näher kam der ekzentrische und ungerührte Journalist Ambrose Bierce, geboren 1842, der ebenfalls am Bürgerkrieg teilnahm, aber überlebte, um einige unsterbliche Geschichten zu schreiben, und dann im Jahre 1913 in einer Wolke des Geheimnisses verschwand, die den Mysterien seiner alptraumhaften Einbildungskraft in nichts nachstand. Bierce war Satiriker und Pamphletist von Graden, doch sein künstlerischer Ruf beruht unbedingt auf seinen grimmigen und wilden Kurzgeschichten, von denen viele den Bürgerkrieg behandeln, und zwar mit dem lebhaftesten und realistischsten Ausdruck, den dieser Konflikt in der erzählenden Literatur jemals gefunden hat. Praktisch sind sämtliche Erzählungen Bierces Erzählungen des Grauens; und während viele von ihnen sich lediglich mit dem physischen und psychischen Schrecken der Natur befassen, lässt doch ein wesentlicher Teil die Existenz des übernatürlichen Bösen gelten, was sie zu einem bestimmten Element im amerikanischen Schatz unheimlicher Literatur macht. Samuel Loveman, ein noch lebender Dichter und
Kritiker, der Bierce persönlich gekannt hat, fasst den Genius des großen »Schatten-Schöpfers« im Vorwort zu einigen von dessen Briefen dergestalt zusammen: »Bei Bierce gerät die Beschwörung des Grauens zum ersten Mal nicht zur Imitation oder gar Perversion Poes oder Maupassants; sie wird vielmehr zur klar umrissenen und unheimlich präzisen Schilderung einer Atmosphäre. Worte, die so simpel sind, dass man sie der literarischen Beschränktheit eines Zeilenschinders zuschreiben möchte, nehmen ein heilloses Grauen an und verwandeln sich auf neue und ungeahnte Weise. Bei Poe finden wir das als TOUR DE FORCE; bei Maupassant ist es die nervliche Anspannung des hochgepeitschten Augenblicks. Für Bierce barg, einfach und ehrlich, das Diabolische mit dem qualvollen Tod ein legitimes und verlässliches Mittel zum erwünschten Zweck. In »The Death of Halpin Frayser« werden Blumen, Pflanzen und das Geäst und das Laub der Bäume auf großartige Weise so eingesetzt, dass sie einen Gegensatz zum unnatürlichen Bösen darstellen. Das ist nicht die gewohnte goldene Welt; Bierces Welt ist vielmehr durchdrungen von geheimnisvollem Blau und von der Widerspenstigkeit der Träume. Doch bleibt sonderbarerweise das Unmenschliche nicht völlig ausgespart.«
Das »Unmenschliche«, wie Loveman es nennt, findet seinen Ausdruck in einem raren Zug von sardonischer Komik und Grabeshumor und ergeht sich lustvoll in Bildern der Grausamkeit und quälender Enttäuschung. Diese sardonische Qualität lässt sich gut an einigen Zwischentiteln der dunkelsten Erzählungen ablesen, etwa: »Es wird nicht alles gegessen, was auf den Tisch kommt«, wenn es um eine Leiche geht, die zur gerichtsmedizinischen Untersuchung auf den Seziertisch gelandet ist; oder: »Ein Mann kann nackt und doch in Fetzen sein«, womit ein schrecklich zerfetzter Körper gemeint ist.
Bierces Gesamtwerk ist als Ganzes von ziemlich ungleichmäßiger Qualität. Viele Geschichten laufen offensichtlich mechanisch ab und leiden unter einem flotten und gemeinhin gekünstelten Stil, der an journalistischen Vorbildern ausgerichtet ist; alle aber sind durchdrungen von einer grimmigen Boshaftigkeit, an der es nichts zu tadeln gibt, und einige überragen die amerikanische Prosa des Unheimlichen als bleibende Gipfel. »The Death of Halpin Frayser« - Frederick Taber Cooper nannte sie die wohl teuflisch entsetzlichste Erzählung der angelsächsischen Literatur - erzählt von einem
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