Unpopuläre Betrachtungen (German Edition)
nur ein kurzer böser Traum: es wird eine Zeit kommen, in der die Erde von neuem keinerlei Leben mehr beherbergen wird, und der Friede wird wiederkehren.
Dieses sinnlose Hin und Her, das uns die Naturwissenschaft allein zu bieten hat, konnte die Philosophen nicht befriedigen. Sie haben sich vorgenommen, eine Formel des Fortschritts zu entdecken, mit der sie beweisen können, dass die Welt sich allmählich immer mehr nach ihrem Geschmack gestaltet. Das Rezept für eine solche Philosophie ist einfach. Der Philosoph entscheidet zunächst, welche Züge der bestehenden Welt ihm gefallen und welche Züge ihm Unbehagen bereiten. Dann sucht er sich an Hand einer sorgsamen Auswahl von Tatsachen zu beweisen, das Universum werde von einem allgemeinen Gesetz regiert, das eine Zunahme des nach seiner Auffassung Angenehmen und eine Abnahme des nach seiner Auffassung Unerfreulichen herbeiführt. Hat er dann solchermaßen sein Fortschrittsgesetz formuliert, wendet er sich mit dem Bemerken an die Öffentlichkeit: »Es ist Bestimmung, dass die Welt sich nach meiner Vorhersage entwickelt; wer rechtbehalten und nicht auf der falschen Seite einen fruchtlosen Kampf gegen das Unvermeidliche führen will, möge sich mir anschließen.« Wer ihm darin widerspricht, wird als unphilosophisch, unwissenschaftlich und altmodisch abgetan, während seine Meinungsgefährten sich ihres Sieges gewiss fühlen, da ja das Universum auf ihrer Seite steht. Obendrein galten die Sieger in diesem Wettstreit aus einigermaßen dunklen Gründen zugleich als im Besitz der Tugend.
Dieser Standpunkt ist zum ersten Mal voll und ganz von Hegel eingenommen worden. Seine Philosophie ist etwas so Seltsames, dass man kaum erwarten konnte, dass er vernünftige Menschen dazu überreden würde. Doch nichtsdestoweniger fand er Anhänger. Er drückte sich so dunkel und verschwommen aus, dass man seine Lehre unbedingt für sehr tiefgründig haken musste. Dabei kann sie in wenigen kurzen und klaren Sätzen dargestellt werden, wobei allerdings ihre Absurdität offenkundig wird. Das Folgende ist, obwohl Hegelianer es natürlich behaupten werden, keineswegs eine Karikatur.
Hegels Philosophie lässt sich folgendermaßen umreißen: Die wirkliche Wirklichkeit ist zeitlos, wie bei Parmenides und Plato, aber es gibt außerdem eine in Erscheinung tretende Wirklichkeit, die sich in der Alltagswelt in Raum und Zeit realisiert. Das Wesen der Wirklichkeit aber kann allein durch die Logik bestimmt werden, denn es gibt nur eine Art von möglicher Wirklichkeit, die nicht in sich selbst widersprüchlich ist. Diese heißt die »absolute Idee«, Hegel gibt von ihr folgende Definition: Die absolute Idee als höchste Einheit der subjektiven und der objektiven Idee ist der Begriff der Idee – ein Begriff, dessen Objekt die Idee als solche ist, und für den das Objektive Idee ist – ein Objekt, das alle verschiedenen Merkmale in seiner Einheit einschließt. Es widerstrebt mir, die strahlende Klarheit einer solchen Definition durch einen Kommentar zu verderben, aber tatsächlich könnte man dasselbe mit den Worten ausdrücken: »Die absolute Idee ist reines Denken über reines Denken.« Hegel hat sich selbst bereits hinreichend bewiesen, dass das Denken nur über das Denken nachdenken kann, weil es gar nichts anderes gibt, worüber man nachdenken könnte. Manche Leute werden das vielleicht etwas langweilig finden und sagen: »Ich denke lieber über Kap Horn oder den Südpol oder Mount Everest oder den großen Andromeda-Nebel nach; ich befasse mich mit den Zeiten, in denen die Erdrinde sich abkühlte, während das Meer vor Hitze kochte und Vulkane über Nacht aufbrachen und wieder verschwanden. Ich halte den Vorschlag, meinen Verstand allein mit den nächtlichen Elaboraten wortspinnender Professoren anzufüllen, für eine unerträgliche Zumutung und bin der Meinung, dass es wirklich nicht der Mühe wert war, durch diesen Wortschwall hindurchzuwaten, wenn weiter nichts der Lohn dafür ist.« Mit diesen Worten würden sie der Philosophie Lebewohl sagen und glücklich weiterleben, bis sie gestorben sind. Doch wir würden Hegel Unrecht tun – und das möge Gott verhüten -, wenn wir diesen Leuten zustimmten. Denn Hegel würde uns darauf hinweisen, dass das Absolute, wie der Gott des Aristoteles, niemals über etwas anderes als sich selbst nachdenkt, weil es weiß, dass alles andere Illusion ist, dass wir jedoch, die wir als Sklaven des zeitlichen Prozesses in einer Welt der Phänomene zu leben
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