Unruhe: Der erste Fall für Kommissar Steen (German Edition)
war keinerlei Verständnis, keine Reue, kein Zweifeln, nur Verachtung und Hass für Axel und seine Kollegen, die in dieser wahnwitzigen Nacht ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten. Jedes Mal, wenn Axel etwas über Lindberg hörte oder ein Bild von ihm sah, flammte sein Hass auf. Es war mit den Jahren nicht besser geworden. Schon gar nicht, nachdem sein bester Freund und dessen Freundin starben. Nina, frisch von der Polizeischule und im selben Jahrgang wie Axel, hatte während der Kämpfe im Fælledvej in vorderster Reihe gestanden. Ein Pflasterstein hatte ihr den Kiefer zertrümmert. Niels, ihr Freund, Gruppenführer und verantwortlich für die schwerverletzten Kollegen, hatte sich nur einen Arm gebrochen, aber die Ereignisse und die später ausgebliebene Hilfe hatten aus ihm einen deprimierten Mann gemacht, der drei Jahre später seinem und dem Leben Ninas ein Ende setzte. Er betäubte Nina, drückte ihr ein Kissen aufs Gesicht und erschoss zuerst sie und anschließend sich selbst mit der Dienstwaffe.
Darling parkte den Wagen in der Ravnsborggade. Betont langsam überquerten sie die Straße und hielten vor dem Eingang der Nummer fünf. Axel hielt Darling an.
»Ich nehme die Hintertreppe, du wartest hier, bis ich drin bin.«
Axel bog in die Blågårdsgade ein und ging dann die Baggesensgade hinunter. Hier lag das erste der vielen grellroten Genossenschaftshäuser des Viertels, die Ende der 1970er-Jahre nach einer umfassenden Sanierung der alten Mietskasernen entstanden waren. Die Parabolantennen an der Frontseite ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass die hochfliegenden Träume der Kommunalpolitik Schiffbruch erlitten hatten. Sicher, es war gelungen, die früheren Bewohner des Viertels zu vertreiben und die vielen alten Brandfallen mit ihren Plumpsklos im Hinterhof zu sanieren, doch das umstrittenste und hässlichste Stadterneuerungsprojekt in Kopenhagens jüngerer Geschichte beherbergte heute nur eine neue Unterschicht.
Eilig überquerte Axel einen Spielplatz und erreichte die Hintertür, von der er annahm, dass sie ins Treppenhaus zur Redaktion führte. Früher waren hier einmal kleine Fabriken und Werkstätten zu Hause gewesen, aber jetzt hatten eine Fotoagentur, die sich auf die Dritte Welt spezialisiert hatte, eine linksorientierte Druckerei und eben Modpress das Gebäude eingenommen.
Die Tür zu Modpress im ersten Stock war nicht abgeschlossen. Er öffnete sie lautlos und stand in einer Küche, in der drei junge Menschen über einen tragbaren Computer gebeugt saßen und einige Aufnahmen von den Unruhen der letzten Nacht ansahen. Schnell ging er an ihnen vorbei und betrat einen großen Raum, in dem Leute vor Computern saßen und arbeiteten. Elf Menschen und mindestens ebenso viele Bildschirme – das Bild der Leiche konnte auf jedem der Rechner gespeichert sein – oder genauso gut auf allen. Weiter kam er mit seinen Überlegungen nicht, bevor die Vordertür aufging und Darling eintrat. Alle richteten ihre Aufmerksamkeit auf den hochgewachsenen, gut aussehenden Ermittler, der ein breites Lächeln aufgesetzt hatte.
»Polizei«, rief jemand.
Aus einem Büro am anderen Ende des Raums kam Martin Lindberg. Schlank, blondes widerspenstiges Haar, dunkelbraune Augen. Mit schnellen, lautlosen Schritten ging er aufDarling zu, schwarze Tennisschuhe, Jeans, ein T-Shirt mit der Aufschrift ›Stoppt Trafficking!‹, selbst gedrehte Zigarette hinterm Ohr baute er sich vor Darling auf, eine Hand in die Taille gestemmt und einen Kopf kleiner als der Polizist, ohne dass dadurch die physische Machtbalance beeinträchtigt worden wäre. Axel blieb, wo er war.
»Was wollen Sie hier?«, fragte Lindberg.
»Wir brauchen Informationen zu einem Bild, das ihr ins Netz gestellt habt. Von wo es geschickt wurde, wer es geschickt hat und wann. Wir brauchen Zugang zu euren Computern«, antwortete Darling.
»Sie haben kein Recht, überhaupt hier zu sein. Und das Gleiche gilt für Ihren Kollegen da drüben, der durch die Hintertür hereingekommen ist. Das ist unbefugtes Betreten, wenn Sie keinen Durchsuchungsbefehl haben.«
Plötzlich sahen alle im Raum Axel an.
»Fuck, das ist doch der Typ auf dem Bild«, sagte einer von ihnen und zeigte auf etwas an der Wand direkt neben Axel.
Das Flüstern wurde zu einem Murmeln.
»Verdammt, dieses Schwein«, sagte ein Mädchen mit Bürstenhaarschnitt und hasserfüllten Augen.
Axel drehte sich um und warf einen kurzen Blick auf eine große, grobkörnige Fotokopie. Es war eine Collage von
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