Ballast oder Eva lernt fliegen
Prolog
Evas Geschichte erzähle ich für all diejenigen, die ihre Wünsche zu kennen glauben. Die zu wissen glauben, was sie brauchen für ihr Glück, und entschlossen sind, ihr Glück zu machen. Brauchen – wie viel Irrtum, wie viel menschliche Tragödie steckt allein in diesem Wort! Wünsche – wer von uns kennt mehr als seine oberflächlichsten? Wir glauben, unser Glück sei abhängig von Dingen oder Personen, von Erlebnissen und Situationen. Wie Eva sind wir überzeugt, Glück sei planbar und könne erkämpft werden.
Mag sein, dass Sie (ja, Sie meine ich) in Ihrem Bestreben, das Glück in den Mantel der Belohnung zu stecken, weniger rigoros vorgehen, als Eva dies tat. Doch das Ergebnis dürfte sich in jedem Falle gleich bleiben. So, wie der Tag, der in Evas Triumph hatte gipfeln sollen, in Chaos und Verwüstung endete, so wird das Schicksal auch Ihnen eine lange Nase drehen. Mit beängstigender Nonchalance entdeckt der Zufall jede noch so kleine Ritze in unserem vermeintlich wasserdichten Plan und macht – boff – alles zunichte. Denn der Zufall und das Schicksal sind es doch, die uns zum Straucheln bringen, nicht wahr? Uns selbst trifft keine Schuld, wir haben getan, was wir konnten, um unser Wunschziel zu erreichen. Oder etwa nicht?
Mit den Wunschzielen ist es so eine Sache, überhaupt mit dem Wünschen. Meist sind es die trivialsten Wünsche, die uns am verlockendsten erscheinen. Wie der Paradiesapfel lächeln sie uns verführerisch zu und finden Unterstützung bei der verräterischen Schlange in uns, die auf den Namen Selbstbetrug hört. Unsere tiefsten, ureigensten Wünsche bleiben bei all den Verlockungen ungehört, vielleicht, weil sie so unscheinbar sind. Denn, und das ist das eigentliche und so offene Geheimnis: Es ist, war und wird immer derselbe alte Wunsch sein, der uns alle in unserem tiefsten Inneren bewegt.
Die Märchen könnten uns da vieles lehren. Und, vielleicht, auch dieses Buch: Für all diejenigen, die glauben, ihre Wünsche zu kennen und ihr Glück erzwingen zu können, mag Eva Idengarts Geschichte eine Warnung sein.
Auch Eva hatte ein Ziel vor Augen. Monatelang hatte sie unerschütterlich darauf hingearbeitet und nun, endlich, schien es zum Greifen nah. Ach Eva! Wie sehr du dich täuschtest! Nun steht das Debakel in dein sonst so makelloses Gesicht geschrieben. Tränen, Wut, Make-up und Enttäuschung haben es verwüstet. Ein scheußliches Abbild der erfahrenen Demütigung verhöhnt dich aus den Spiegeln deines Toilettenschränkchens heraus. Eben dort, wo vor kaum zwei Stunden noch deine kunstvoll zurechtgemachte Larve erstrahlte! Zwei Stunden nur! Dein Plan schien perfekt. Jede Möglichkeit, jedes Detail glaubtest du bedacht zu haben. Doch dein erträumtes Gebäude ist eingestürzt. Zu Staub gemacht. Planiert von dem, der als Herr darin hatte residieren sollen!
Zurück bleibt das Chaos. In deiner Seele, in deinem Leben und – wie grotesk! – im Inneren deines sonst so penibel geordneten Spiegelschränkchens. Der Ingenieur, ich will dich nicht unnötig mit der Nennung seines Namens quälen, er spielt ja doch nur als Auslöser in deiner Geschichte eine Rolle und kann also zum schaurig-nebulösen Dasein einer Schimäre verurteilt werden, nun, dieser Ingenieur hatte nur fünf einfache Sätze benötigt, um dein wohlgeordnetes Leben ins vollendete Chaos zu stürzen. Um dasselbe mit deinem Toilettenschrank zu bewerkstelligen, hast du volle fünf Minuten gebraucht. Fünf Minuten: eine kleine Ewigkeit! Da passen sehr viel mehr als nur fünf Sätze hinein. Nun gut, Thomas Mann hätte sie spielend mit einem gefüllt, doch dein – verzeih! - unser Ingenieur war kein Thomas Mann und hatte es mit seinen fünf Sätzen nur auf etwas weniger als eine Minute gebracht. War also sein Vorgehen effektiver als das deine, oder ist es einfacher, die Ordnung eines Lebens zu zerstören, als die in einem Toilettenschrank?
Ich glaube nicht, dass der Ingenieur wusste, was er anrichtete. Ganz gewiss hatte keine Berechnung hinter seinen fünf Sätzen gesteckt, denn er ist, so wie wir beide ihn kennen, doch eher dumm als grausam und Rechenaufgaben mit menschlichen Variablen sind nicht seine Stärke.
Und du, Eva, wusstest du, was du deinem Schränkchen antatest? Verzeih, ich weiß ja, es spielt keine Rolle. Denn das Chaos in deinem Schränkchen ist – wie so vieles im Leben – doch nur eine Nebenwirkung. Risiko und Nebenwirkung deiner verzweifelten Suche nach dem Heilmittel für die äußeren Symptome
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