Unruhe: Der erste Fall für Kommissar Steen (German Edition)
Sofa und rieb sich mit den Händen über das Gesicht, als sei sie gerade erst aufgewacht. Dann stand sie auf.
»Ich muss mir was holen … für meine Augen … um sie abzuwischen.«
Axel sah sich um. Was hatte sie gesagt, was sie beruflich machte? Krankenschwester? Altenpflegerin? Gesundheitsberaterin? Er versuchte, sich an ihren Namen zu erinnern. Sie hatte damals nicht Laila geheißen.
Als sie zurückkam, ging er die üblichen Routinefragen mit ihr durch, Feinde, Schulden – was war mit ihr selbst, war sie mit jemandem zusammen oder hatte sie Verehrer? Sie antwortete zögernd und ausweichend, und wenn er nach ihrer Beziehung zu Enver fragte, zog sie sich zurück und hielt daran fest, sie habe ihn nicht gesehen, seit er ausgewiesen worden sei.
Axel war sicher, dass sie log, nicht nur weil er wusste, dass Enver Davidi mehrere Male im Land gewesen war – welcher Vater würde nach so vielen Jahren der Trennung nicht seine Familie aufsuchen? –, sondern auch, weil er alle klassischen Anzeichen an ihr bemerkte: ausweichender Blick, nervöse Zuckungen, zerstreutes Zupfen an der Kleidung, als sei sie mit den Gedanken an einem anderen Ort. War dieser Ort vielleicht die Trauer über den Tod ihres Exmannes? Vielleicht war es eine Flucht vor der Wahrheit, vielleicht etwas ganz anderes – doch anstatt nachzuhaken, schwieg er, damit sie zur Ruhe kommen konnte. Jetzt, da sie die Nachricht verdauen musste, dass ihr Kind keinen Vater mehr hatte, war nicht der Zeitpunkt, tiefer zu bohren und den Dingen auf den Grund zu gehen, aber der würde kommen. Und er kam früher, als er geahnt hatte, denn plötzlich richtete sie sich auf und sah ihn an, als habe sie einen Entschluss gefasst:
»Ich habe ihm versprochen, niemandem etwas davon zu erzählen, aber das kann ja jetzt egal sein. Letzten Dienstag rief er an und sagte, er sei in Dänemark und dass er bald kommen und mich und den Jungen besuchen werde.«
»Hat er gesagt, warum er hier war?«
»Nein, aber er sagte, er habe da eine große Sache laufen. Und dass in Zukunft vieles anders werden würde.«
»Hast du eine Ahnung, was er damit meinte?«
»Er war ein Träumer, also dachte ich, da sei sowieso nichts dran. Das habe ich ihm auch gesagt, aber davon wollte er nichts wissen. Er war ganz versessen darauf, herzukommen und alles zu erklären.«
Sie sah aus dem Fenster.
»Was soll ich Louie sagen?«
»Ist das euer Sohn?«
»Ja.«
»Wie buchstabiert man das?«
Sie sagte es ihm.
Die Schreibweise stimmte mit der Tätowierung auf Enver Davidis Körper überein.
»Sagt dir das Datum 18.03.2001 etwas?«
»Nein, warum?«
Axel antwortete nicht, sondern überließ ihr das Fragen.
»Was ist mit ihm passiert? Wo ist er?«, wollte sie wissen.
»Er wurde umgebracht. Gestern Nacht wurde er am Nørrebro-Friedhof gefunden. Leider ist es bereits in den Medien – nicht namentlich, aber du würdest sicher trotzdem draufkommen, um wen es sich handelt.«
Sie sah schockiert aus, schüttelte den Kopf und begann wieder zu weinen.
»Oh nein.«
»Du sagst, er hat letzten Dienstag angerufen. Was hat er genau gesagt?«
»Er sagte, er sei nach Hause gekommen. Er müsse ein paar Dinge für ein paar Leute in Ordnung bringen, dann würde er vorbeikommen. Bald. Ich sagte, er solle kommen, wenn Louie in der Schule ist oder früh genug Bescheid geben, damit ich ihn irgendwo unterbringen könne. Ich habe eine Überraschung, sagte er. Alles werde in Ordnung kommen.«
»Eine Überraschung? Für dich?«
»Ich weiß auch nicht.«
»Und was meinte er damit, alles werde in Ordnung kommen?«
»Keine Ahnung, aber er hatte immer alle möglichen Ideen und Fantastereien im Kopf, dass in Zukunft alles anders werden würde. Nur ist da nie etwas draus geworden.«
»Hat er gesagt, wo er wohnt?«
»Er sagte, er wohne in einem Hotel in Nørrebro, nur zehn Minuten entfernt.«
Das war eine gute Neuigkeit. Nørrebro hatte alles zu bieten, nur keinen Straßenstrich und keine Hotels. Tatsächlich fiel Axel nur ein Hotel mitten im Viertel und direkt an der Nørrebrogade ein, das mehr ein Durchgangslager für Leute war, die ihr Glück in Dänemark versuchen wollten, oder für Dänen, die auf dem absteigenden Ast waren, Leute, die ohne viel Aufhebens verschwinden wollten. In den letzten fünf Jahren war er zweimal im Hotel Continent gewesen, beide Male ging es um Mord.
»Was ist passiert?«, fragte sie.
»Wir wissen noch nicht viel, aber wir gehen davon aus, dass es eine Verbindung zu seiner Vergangenheit
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