Schweig still, mein totes Herz (German Edition)
1
»Pistole fallen lassen!«, schrie Caitlyn Tierney.
Die FBI -Agentin zögerte, das zitternde Kinn verriet ihren inneren Konflikt. Es war auch eine schlimme Situation: Caitlyn verbarg sich hinter dem Partner der jungen Frau und drückte ihm die eigene Dienstwaffe gegen den Kopf. Seine Größe war nun Caitlyns Vorteil, ihre zierliche Gestalt verschwand fast vollständig hinter dem menschlichen Schutzschild.
Die Agentin hielt die Pistole unbeirrt auf ihren Partner und Caitlyn gerichtet. Das würde ihr herzlich wenig bringen, war jedoch die Standardvorgehensweise in einem solchen Fall.
Caitlyn stemmte sich gegen den viel größeren Agenten. Sie nahm einen frischen Geruch nach Minze wahr, als hätte er eben noch einen Kaugummi gekaut oder Mundwasser benutzt, bevor er seiner Partnerin in dieses verwahrloste Dreckloch gefolgt war. Schweiß lief ihm den Nacken herunter und in den Hemdkragen hinein. Sein Haar war sauber getrimmt; im Nacken waren noch die hauchdünnen Einschnitte des Rasiergeräts zu erkennen.
Sie schaute sich um. Er war ihre einzige Deckung. Bis auf ein durchgesessenes Stoffsofa an der gegenüberliegenden Wand und einen Couchtisch aus billigen Kanthölzern war die Wohnung unmöbliert. Caitlyn stand mit dem Rücken zur Wand, ihr einziger Ausweg war die Tür rechts neben der Agentin.
»Lassen Sie uns darüber reden.« Die Stimme der Agentin klang leicht zittrig, die Pistole ließ sie jedoch immer noch nicht sinken. »Lassen Sie ihn gehen, dann unterhalten wir uns.«
»Klappe, oder ich lege ihn um!«, erwiderte Caitlyn. Bei einem Redevorbot würde es der Agentin schwerfallen, mit ihr zu verhandeln oder sie einzuschüchtern.
»Waffe fallen lassen. Sofort!«
Mach schon, entscheide dich
, dachte Caitlyn. Der Deckenventilator surrte, seine trägen Bewegungen kamen jedoch kaum gegen die drückende Luft im Zimmer an. Es stank nach Schimmel und Schweiß, nach Fenstern, die sich nicht öffnen ließen, nach dem Flokati-Teppich, der sicher schon seit Jahrzehnten hier einstaubte, und nach viel zu vielen Jahren, in denen zu viele Menschen hier zu viele schlechte Entscheidungen getroffen hatten. Die FBI -Agentin war nur ein weiteres Glied in einer langen Reihe, wie sie da im schwachen Licht der nackten 60-Watt-Birne stand und sich durch ein Minenfeld von Möglichkeiten quälte.
Zwing mich nicht dazu. Entscheide dich. Triff einfach eine Wahl.
Doch die Agentin zauderte. Verunsichert ließ sie die Pistole sinken, hob sie dann unschlüssig wieder an.
Caitlyn schoss ihr in die Stirn, gefolgt von zwei direkten Treffern in die Brust.
Anschließend tippte sie dem Agenten mit dem Lauf ihrer Pistole an die Schläfe. »Peng. Sie sind tot.«
»Tierney!«, brüllte der Übungsleiter von seinem Beobachtungsposten aus ihren Nachnamen. »Was zum Teufel machen Sie da?«
Denen beibringen, wie sie in der realen Welt überleben können
, antwortete Caitlyn in Gedanken. Sie hatte selbst schon in Situationen gesteckt, wie sie hier in der Ausbildung durchgespielt wurden, und hatte sich zwischen den Vorschriften und ihrem Instinkt entscheiden müssen.
Vor sechs Monaten, als eine Waffe auf ihren Kopf und eine weitere auf ihren Partner gerichtet gewesen war, hatte Caitlyn ihre Pistole ausgehändigt. Hätte sie das nicht getan, wäre sie jetzt tot – und mit ihr fünfhundert unschuldige Menschen. Ihre Entscheidung damals hatte sie allerdings ganz bewusst getroffen, in dem Wissen, dass die Glock nicht ihre einzige Waffe war. Und schon gar nicht die effektivste.
Diese FBI -Anwärter mussten lernen, ebenso zu denken. Es könnte ihnen eines Tages das Leben retten.
Mike LaSovage, Leiter des Übungsszenarios und Mitglied des FBI -Geiselbefreiungsteams, kam auf Caitlyn zugestapft. Dabei hielt er sein Klemmbrett wie eine Waffe auf sie gerichtet. »Supervisory Special Agent Tierney, könnte ich Sie mal kurz sprechen?«
Caitlyn nahm den Helm ab und rieb sich an der rechten Schläfe das plattgedrückte kurze rote Haar, bis es sich von der juckenden Narbe löste. Sie schaute zu der Anwärterin hinüber, die sie soeben erschossen hatte. Die Frau hob zitternd eine Hand an den Gesichtsschutz. Als sie sie wieder sinken ließ, waren die Finger mit der neongrünen Farbe aus Caitlyns Übungspatronen beschmiert.
»Sie hätte sich entscheiden müssen«, murmelte Caitlyn, während sie sich die feuchten Handflächen an der schwarzen Cargohose abwischte. Übung hin oder her, das Szenario war ihr unter die Haut gegangen, und mit den aufsteigenden
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