Unschuldiges Begehren
vertraut gemacht und kannte deshalb Serendipity wie ihre eigene Westentasche.
Es war immer schon ihr gröÃtes Ziel gewesen, alles möglichst gut zu machen, was sie tat. Sie war für ihre Kompetenz bekannt, daher wären sicher alle überrascht, wenn sie erführen, dass sie ihren Job verloren hatte, weil sie nicht nur irgendeinem Gast, sondern unglücklicherweise Tyler Scott persönlich gegenüber unhöflich gewesen war.
Ein Jahr nachdem sie selbst im Vergnügungspark angefangen hatte, hatte Scott Enterprises aus Atlanta sich den Park einverleibt. Seither war er ein kleiner Teil eines riesigen Imperiums, das auf einer Reihe Immobilienunternehmen, einem groÃen Sägewerk, einer Computerfirma, einem Einkaufszentrum, einer Wohnungsbaugesellschaft und mehreren anderen Unternehmungen gegründet war.
Die Mitarbeiter hatten bisher immer im Scherz gesagt, dass der ominöse Tyler Scott gar kein echter Mensch, sondern einfach ein Oberbegriff für eine Gruppe alter Tattergreise war. Da niemand ihn jemals gesehen hatte und sämtliche Geschäftsvorgänge, die den Park betrafen, von einer Heerschar Untergebener
getätigt worden waren, hatten sie gemutmaÃt, dass es Tyler Scott, den Mann, in Wahrheit gar nicht gab.
Ein reumütiges Lächeln umspielte Haileys Mund. Tyler Scott war eindeutig kein Geist. Und auf einen Kerl mit seiner Brust und seinen Schultern passte die Bezeichnung »Tattergreis« ganz sicher nicht. Oh nein, er war real und obendrein ein ganzer Mann.
Und was tat ein solcher Mann, nachdem ihm eine Angestellte, deren Aufgabe allein in der Sorge um das Wohlergehen und die gute Laune der Besucher seines riesigen Vergnügungsparks bestand, kompromisslos, barsch und ohne jedes Mitgefühl begegnet war? Ja, was tat ein solcher Mann in einem solchen Fall?
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Nach neun kam sie endlich nach Hause. Ihre letzte offizielle Aufgabe an diesem Tag hatte darin bestanden, hundertdreiÃig jugendliche Pfadfinder mit Serendipity- Aufklebern zu versehen. Statt jedoch die Aufkleber mit heimzunehmen und die elterlichen Fahrzeuge damit zu schmücken, hatten sich die Jungs die bunten Sticker innerhalb von zwei Minuten gegenseitig auf die Hemden, Hosen oder Rucksäcke geklatscht.
Sie zog ihre Sandalen direkt neben der Haustür aus, warf ihren Blazer über einen Stuhl, lief automatisch weiter in die Küche, um zu sehen, welcher vergessene Schatz sich vielleicht in ihrem Kühlschrank fand, klappte dann aber die Tür mit einem Seufzer wieder zu. Wieder einmal würde es nur ein Omelett geben. Sie schlurfte weiter durch den Flur bis in ihr Schlafzimmer und hatte sich gerade ihrer Uniform
entledigt, als das Klingeln ihres Telefons an ihre Ohren drang.
»Hallo?«
»Ãbernehmen Sie die Kosten für ein R-Gespräch von Ellen Ashton?«
»Ja«, erwiderte sie müde.
»Hallo, Schwesterherz.«
Hailey hätte sie am liebsten angefahren, weil sie wie gewöhnlich nicht die Kosten ihres Anrufs selber übernahm, stieà dann jedoch einen schuldbewussten Seufzer aus. Okay, sie hatte einen grauenhaften Tag gehabt, aber ihre Schwester konnte schlieÃlich nichts dafür.
»Hi, Ellen. Was gibtâs?« Ihr war klar, auch ohne diese Frage hätte die zwei Jahre jüngere Ellen zu einem â da für sie kostenlosen â ausgedehnten Monolog über die jüngsten Ereignisse in ihrem Leben angesetzt, und so setzte sie sich resigniert aufs Bett.
Hailey hielt sich selbst für halbwegs attraktiv, hatte allerdings schon immer das Gefühl gehabt, dass ihre Schwester einfach eine Schönheit war. Haileys eigenes Haar schimmerte kupferrot, das von Ellen wogte wie ein Flammenmeer um ihren Kopf. Sie selbst war groà und schlank, hielt sich aber eher für dürr, wie sie es auch schon als unglücklicher Teenager gewesen war. Ellen hatte nie unter Ungelenkigkeit der meisten Heranwachsenden gelitten, sondern die Verwandlung vom pausbäckigen Mädchen zur kurvenreichen Frau ohne unglückliche Zwischenphase durchgemacht.
Auf sie selbst war stets Verlass, während für die kleine Schwester der Begriff Verantwortung ein Fremdwort
war. Aber sie war quicklebendig, wunderschön, jeder betete sie an, und auch wenn sie wegen ihrer Unbeständigkeit schon eine ganze Reihe guter Jobs verloren hatte, fand sie trotz ihrer bescheidenen Talente nur dank ihres Charmes immer im Handumdrehen einen neuen Arbeitsplatz.
»Klingt, als ob
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