Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
motorischen Programme aktivieren, die wir mit dem Konsum dieser Erzeugnisse und der Lust an ihnen assoziieren.
KAPITEL ZWEI Intuitionsvermögen
Paradoxerweise ist die größte Hürde für das Verständnis des menschlichen Geistes die obsessive Fixierung auf Rationalität im Geist der ihn erforschenden Wissenschaftler. Die zweite Hürde sind Computer. Gemeinsam haben die beiden die Vorstellung eines Gehirns geschaffen, das alle Information bewusst, logisch und abstrakt verarbeitet – wie es Computer tun. Die Entdeckung der Spiegelneuronen veränderte diese Vorstellung.
Hätte ich meine Großmutter gefragt, woher sie wisse, dass ich verliebt war, hätte sie geantwortet, sie habe es eben »gespürt«. Sie wusste, dass die Prozesse, mittels derer wir andere Menschen verstehen, nicht logisch, sondern intuitiv sind. Hätten Sie Wissenschaftler in den achtziger Jahren gefragt, hätten die Ihnen etwas von beobachtbaren Fakten erzählt (zum Beispiel Tagträumen oder Lächeln) und diese mit einer Theorie der »Liebe« verbunden (etwa, dass Liebe Tagträume und Glück einschließt), als wäre Intuition ohne Bedeutung.
Solche Unterschiede verweisen auf ein systematisches Problem: Die Forscher, die uns das Gehirn erklären, werden gute Wissenschaftler, weil ihnen rationales, empirisches Denken Freude macht, daher neigen sie zu der Auffassung, rationales Denken sei wichtiger als Intuition. Vor der Entdeckung der Spiegelneuronen waren unsere Vorstellungen über Hirnfunktionen und soziales Verständnis daher von der Vorstellung geprägt, unser Gehirn verstünde die Welt wie ein Wissenschaftler, indem es Beweise sammle und anhand dieser empirischen Evidenz eine Theorie von der (sozialen) Welt entwickle.
Die abstrakt-rationale Auffassung der Forscher setzte sich noch stärker in der allgemeinen Vorstellung fest, weil es jene Falle gab, die man den »Gehirn-Computer-Fehlschluss« nennen könnte. Wie die meisten biologischen Objekte sind Gehirne für uns schwer zu verstehen, weil wir sie nicht konstruiert haben. Da sind Computer viel einfacher zu verstehen, zumindest für die Ingenieure, die sie entwickelt haben. Als Computer in den siebziger und achtziger Jahren allgemein verfügbar wurden, suchten viele Informatiker bei den Neurowissenschaften Anregungen für die Entwicklung guter Rechner. Das ist völlig in Ordnung, doch Neurowissenschaftler beschäftigten sich ihrerseits auch mit Computern, um Hinweise auf die Arbeitsweise des menschlichen Geistes zu finden. Dabei gingen sie von folgender Überlegung aus: Wenn ein Computer sich verhält wie wir, dann müsste uns das, was dieses Gerät »intelligent« macht, Hinweise liefern auf das, was uns intelligent macht.
Natürlich ist der Vergleich unseres Gehirns mit einem Computer ein Fehlschluss. Sowohl Leoparden als auch Ferraris sind schnell, aber sollen wir deshalb annehmen, dass irgendwo im Leoparden ein Verbrennungsmotor verborgen ist? Wohl kaum. Leider sind viele Kognitionswissenschaftler mehr oder weniger bewusst zu entsprechenden Theorien gelangt. So hat beispielsweise Doug Lenat, der namhafte amerikanische Pionier auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz, ein Computerprogramm entwickelt, das menschliches Denken simulieren sollte. Lenats Forschungsgruppe fütterte das Programm (»Cyc«, Kurzform für engl. en cyc lopedia) mit Millionen Daten enzyklopädischen Wissens, von denen viele aus analog strukturiertem Wissen über die nichtsoziale Welt (zum Beispiel »Alle Autos sind Maschinen« und »Alle Maschinen hören irgendwann auf zu arbeiten«) sowie über die menschliche Welt bestanden (»Alle Menschen sind Tiere« und »Alle Tiere werden irgendwann müde«). Wenn Sie »Cyc« fragen, ob Sie Ihr Auto ewig fahren können, wird es zu dem Schluss gelangen, dass Ihr Auto, da es eine Maschine ist und da alle Maschinen irgendwann nicht mehr arbeiten, dieses Schicksal teilen werde und dass die Antwort daher »Nein« lauten müsse. Fragen Sie das Programm, ob Sie ewig funktionieren können, wird es aufgrund derselben Überlegung schlussfolgern, dass Sie irgendwann ermüden und nicht mehr funktionieren werden. An sich ist »Cyc« ein großartiger Erfolg. Dank seines Wissens kann es das Internet durchsuchen und auf viele Fragen relevante Antworten liefern. Unglücklicherweise wurde der Erfolg solcher Expertenprogramme als Beweis dafür gewertet, dass das rational-abstrakte Denken von »Cyc« eine brauchbare Erklärung für die Arbeitsweise unseres Gehirns liefere.
Doch wie wir sehen
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