Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
werden, beweisen uns Spiegelneuronen, dass wir uns nicht nur an abstraktem Denken orientieren, wenn wir das Verhalten anderer Organismen beobachten. Ironischerweise könnte die intuitive Antwort unserer Großmutter, »weil ich es spürte«, unsere Geistesverfassung besser beschreiben als die meisten von Forschern entwickelten Erklärungsversuche des menschlichen Geistes, die ihn als logische, körperlose Informationsverarbeitungsmaschine darstellen.
Unsere Vorhersagen von Handlungen anderer beruhen auf dem, was wir tun würden
Wie sagt ein Affe die Handlungen anderer Affen oder Menschen voraus? Verwendet er abstrakte Regeln? Vermutlich nicht. Wenn der Affe die Handlungen anderer Individuen verfolgt, feuern einige prämotorische Neuronen, die normalerweise bei Ausführung dieser Handlung aktiviert werden.
Handelt der Affe selbst, folgt, wenn er die Hand nach einer Erdnuss ausstreckt, gewöhnlich der Akt des Ergreifens nach. In der Schaltstruktur der prämotorischen Neuronen breitet sich die Aktivität also in der Regel von den für das Handaustrecken verantwortlichen Neuronen auf die Greif-Neuronen aus. Wird nun die Beobachtung des Handausstreckens von Spiegelneuronen in prämotorische Aktivität umgewandelt, kommt es vermutlich zur Aktivierung desselben Schaltkreises, sodass die Aktivität auch in diesem Fall die Greif-Neuronen erfasst. Diese würden also feuern, bevor das Greifen selbst beobachtet werden könnte. So wäre der Affe in der Lage, das Verhalten anderer anhand der Regeln vorherzusagen, die sein eigenes Handeln bestimmen.
Um zu überprüfen, ob Vorhersagen dieser Art im Spiegelneuronensystem stattfinden, zeichneten wir die Aktivität eines Spiegelneurons auf, das reagierte, wenn der Affe eine Apfelsine ergriff. Als jemand aus dem Team vor den Augen des Affen eine Apfelsine ergriff, feuerte dasselbe Spiegelneuron in dem Augenblick, als der Mensch zugriff. Das ist natürlich nichts Ungewöhnliches für ein Spiegelneuron. War die Apfelsine schon fort und griff der Versuchsleiter nur dorthin, wo sie gelegen hatte, blieb das Neuron bezeichnenderweise stumm, woraus folgte, dass die Zelle tatsächlich auf das Ergreifen eines Objekts reagierte und nicht einfach auf das Öffnen und Schließen der Hand. Es folgte der entscheidende, die Vorhersage betreffende Test. Wir stellten einen undurchsichtigen Schirm vor die Apfelsine, sodass der Affe nur noch sah, wie eine Hand sich auf den Schirm zubewegte und hinter ihm verschwand. Die Hälfte der Spiegelneuronen feuerten im Fall der verborgenen Frucht, als könnten sie aus dem Anblick der sich ausstreckenden Hand schließen, dass sie die Apfelsine ergreifen würde, weil der Affe das normalerweise selbst getan hätte. 3
Es leuchtet ein, dass solche Vorhersagen sehr nützlich sein können. Wenn ein Affe sieht, wie ein Leopard in langen Sprüngen auf ihn zukommt und dann hinter einem Busch verschwindet, kann ihm die Fähigkeit, die Greifbewegung mit dem Maul vorherzusagen, die nötige Zeit verschaffen, um auf einen Baum zu springen. Oder nehmen wir den weniger dramatischen Fall, dass ein Affe eine schöne Frucht gefunden hat. Wenn er nun sieht, dass ein anderer Affe nach ihr greift, kann das dazu führen, dass er seinen fruchtigen Leckerbissen einbüßt, wenn er das Verhalten seines Artgenossen nicht vorhersagt und die Frucht in Sicherheit bringt. Im komplexen Lebensraum der Affen hat das Individuum, welches das Verhalten anderer Tiere besser vorhersagen kann, unter Umständen mehr Zeit, auf eine bevorstehende, aber eben vorhergesehene Situation zu reagieren.
Die Methode des Affen unterscheidet sich grundsätzlich von der Art und Weise, wie ein Computer Verhalten vorhersagen würde. Computer ergreifen oder essen keine Früchte; daher können sie nicht auf das eigene Verhalten zurückgreifen, um das von Tieren vorherzusagen. Affen dagegen führen in der Regel die Handlungen aus, die auch von anderen Affen vorgenommen werden könnten. Sie können das Verhalten ihrer Artgenossen auf den eigenen Körper und dessen Handlungen abbilden. Die Vorhersage beruht nicht mehr auf einem Satz von Schlussregeln, die speziell erworben wurden, um das Verhalten anderer Individuen vorherzusagen, sondern verwendet unmittelbar den Apparat, der für das Handeln und den Körper des Beobachters zuständig ist. Damit simuliert dieser, was er selbst als Nächstes tun würde, und schreibt das derart vorhergesagte Verhalten dann dem beobachteten Tier zu. Die klassische Trennlinie zwischen Selbst
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