Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
und anderem, zwischen Körper und Geist wird bei diesem Prozess verschwommen und durchlässig. Die geistige Funktion, das Verhalten des anderen vorherzusagen, wird nun auf die neuronale Repräsentation von Körper und Handeln des Beobachters verlagert, es wird »verkörperlicht«, das heißt, im Körper gegründet und verankert. I Der andere Organismus wird also in Teilen des Beobachter-Gehirns repräsentiert, von denen man annahm, sie seien für das Selbst des beobachtenden Affen zuständig.
Das Selbst als Simulation anderer Individuen zu verwenden, ist eine sehr sparsame und elegante Form der Informationsverarbeitung, denn anstelle eines Satzes expliziter Regeln über andere verwendet es den auf das eigene Handeln spezialisierten Apparat, um das Handeln anderer vorherzusagen. Die Entdeckung, dass das Gehirn sich tatsächlich dieser Form verkörperlichter Simulation bedient, verändert unsere Auffassung von diesem Organ. Zum ersten Mal ist soziale Kognition nicht irgendeine altbekannte Form rechnergestützter Informationsverarbeitung, sondern ein sehr spezielles Verfahren, das auf der Ähnlichkeit zwischen Organismen beruht. Jetzt wird auch verständlich, warum es uns so viel leichter fällt, das Verhalten eines Paars vorherzusagen, das kichernd in Richtung Schlafzimmer tänzelt, als das von Würfeln zu prognostizieren – weil wir Menschen sind und keine Würfel.
Andere verstehen: Was für ein Gefühl wäre es, das Gleiche zu tun
Wie oben gesehen, führt die Stimulation von prämotorischen Neuronen beim Menschen nicht automatisch zu Körperbewegungen; sie erzeugt auch geistige Zustände, die mit Handlungen assoziiert sind, etwa das Gefühl, dass sich der eigene Arm bewegt, auch wenn es nicht der Fall ist, oder das Empfinden, etwas Bestimmtes tun zu wollen (»Ich spüre den Drang, etwas mit meiner Hand zu tun« 2 ). Die Aktivierung, die in diesem Bereich gemessen wird, während Affen die Handlungen anderer beobachten, könnte also ein bewusstes »Gefühl« für die beobachteten Handlungen erzeugen, ein inneres Empfinden für sie, ähnlich dem Handlungswunsch, der durch die Reizung des Gehirns ausgelöst wird. Wenn wir bedenken, dass die Selektivität mancher im prämotorischen Kortex gelegener Neuronen für bestimmte Handlungen häufig von der exakten Ausführung der Handlungen unabhängig ist (das heißt, dass es keine Rolle spielt, ob mit der rechten oder linken Hand oder auch mit dem Mund gegriffen wird), erkennen wir, welche Aspekte der Handlung in den prämotorischen Aktivierungen repräsentiert werden: eher das Ziel der Handlung als die Muskeln, die im Einzelnen bewegt werden. Wenn der Affe beispielsweise sieht, dass Sie mit dem linken Arm eine Apfelsine nehmen, vermittelt die prämotorische Aktivität dem Affen in erster Linie das Gefühl, dass Sie die Apfelsine nehmen, und weniger die Erkenntnis, in welcher Art und Reihenfolge Sie den Trizeps kontrahieren, die Finger strecken, einen Finger beugen, den Bizeps kontrahieren und so fort. Insofern sind die prämotorischen Zellen nicht so sehr detaillierte Vorhersagefaktoren künftigen Verhaltens, sondern vermitteln eher einen Eindruck davon, welche Zielsetzung oder Intention dem Verhalten zugrunde liegt. Damit kommen wir der Fähigkeit, »die Absichten anderer zu verstehen«, ein Stück näher.
Das Wort »Intention« oder »Absicht« hat hier eine sehr bodenständige Bedeutung – es bezeichnet das, was der Akteur erreichen möchte. Ob Affen solche Absichten haben, lässt sich schwer entscheiden, aber ihr Verhalten ist mit der These, dass es der Fall sei, durchaus vereinbar. Einmal habe ich Florence, einem meiner Affenweibchen, ein Marshmallow gegeben. Sie mochte Marshmallows und griff eifrig danach. Als ich den Leckerbissen spielerisch wegzog, ruckte sie ärgerlich den Kopf nach vorn. Bei Menschen ist dieser Ärger mit dem Gefühl verbunden, dass jemand mit ihren Absichten spiele. Das veranlasst mich – durch Simulation in meiner eigenen Vorstellung – zu der Annahme, dass bei Affen ähnliche Absichten im Spiel sind wie bei mir.
Auch das Wort »verstehen« hat hier eine sehr pragmatische Bedeutung. Der Affe dürfte die beobachtete Handlung (zum Beispiel die Hand, die nach der Apfelsine hinter dem Schirm greift) ganz so »fühlen«, wie Patienten bei Elektrostimulation ihrer höheren motorischen Areale fühlen, dass sich ihr Arm bewegt. Das bedeutet nicht, dass der Affe unsere Absichten in ihrem ganzen Umfang versteht (warum wir die Apfelsine ergreifen
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