Unser Mann in London
geworden.»
Pound hatte eine komplette Fulham-Elf samt gut gefüllter Ersatzbank eingebaut.
Öffentliches Reden wird in England als Kunstform betrieben. Die Tradition der Speaker’s Corner im Hyde Park kennt jeder Tourist. In den Londoner Tageszeitungen ist der Parlamentskritiker ein unersetzlicher Spezialist wie der Fußballreporter oder Theaterkritiker. Jeden Tag seziert der Parlamentskritiker die Debatten in Westminster.
After dinner speaking
ist ein anderer etablierter Beruf in Großbritannien. Auf jeder Gala tritt nach dem Essen ein Entertainer auf, der die Gäste mit seinen Geschichten und Späßen unterhält. Für viele Profifußballer wird das Redenhalten zur Karriere nach der Karriere. Sie werden für den Wohltätigkeitsball der Stadtverwaltung oder die Weihnachtsfeier des örtlichen Stahlhändlers gebucht, gleich nach dem Nachtisch kommen ihre Anekdoten von damals. Die PFA engagiert zu ihrer Gala immer einen Comedian. Mit dem klaren Auftrag, sich über Fußballer lustig zu machen.
«Volzy, du bist doch eine lebende Fulham-Legende», raunte Stephen Pound schon wieder neben mir. «Wir brauchen jemanden, der den Widerstand gegen die Michael-Jackson-Statue anführt, die Al-Fayed vor dem Stadion aufstellen ließ. Wie wäre es mit dir?»
Wir vertieften uns in ein Gespräch über Michael Jackson. («Zumindest gibt die Statue ihn gut wieder: Sie ist so absurd hässlich.») Irgendwann stand ich auf, um zwischen den Tischen nach alten Kollegen zu suchen. Ich sah Ben Chorley, den Fleischkopf aus alten Arsenal-Jugendtagen, er spielte mittlerweile bei Leyton Orient in der dritten Liga. An diesem einen Abend waren Profis aus der ersten wie der vierten Spielklasse gleich.
«Hey, du schuldest mir noch einen Pullover», begrüßte ich Kelvin Davis am Tisch 32.
Den Spaß, den Pullover eines neuen Spielers eigenmächtig zum Torwartjersey umzufunktionieren und im Schlamm des Fünf-Meter-Raums einzusuhlen, habe er aufgegeben, erzählte er bedauernd. Nachdem eines seiner Opfer, ein Spieler aus Polen, gar nichts Witziges an der rustikalen Begrüßung finden konnte, sondern ihn übelst beschimpfte, sei er zur Ansicht gelangt, dass sich die Zeiten wohl geändert hätten.
Das Summen und Brummen im Festsaal wurde schneller, lauter, die Jungs aus den unteren Ligen bestellten trotz der Wucherpreise mehr Whiskey-Cola, jetzt war es auch schon egal, Smoking trugen sie nur einmal im Jahr, das musste gefeiert werden. Ich schlängelte mich durch die Tischreihen und führte noch ein letztes Mal ein paar dieser klassischen Galagespräche.
«Moritz! Wie geht es dir? Was macht Fulham? Großartig, dich zu sehen, hey, wir sprechen später.»
«Auf jeden Fall», sagte ich, obwohl ich schon auf dem Weg zum Ausgang war.
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Zwanzig Wäscheleinen im Wohnzimmer
Im Stadion an der White Hart Lane konnte ich hören, dass Weihnachten war. Das Publikum summte, während es an anderen Spieltagen brummte. Eine heitere, leichte Stimmung lag in der Luft, die ungewöhnlich zahlreichen Kinderstimmen milderten den Lärmpegel zusätzlich. Es herrschte so eine angenehme Atmosphäre, dass ich vergaß, dass man an Weihnachten doch eigentlich andere Dinge tun sollte, als in einer Premier-League-Partie zu spielen.
Während überall sonst in christlichen Ländern die Menschen in der Weihnachtswoche innehalten, wird in England mehr Fußball denn je gespielt. Vier Spiele in zehn Tagen fanden zu meiner Zeit oft zwischen dem 26. Dezember und 6. Januar statt. Die Spielrunde am zweiten Weihnachtsfeiertag ist ein unumstößlicher Teil der Weihnachtstradition geworden. Die Leute müssen mal raus, nachdem sie zu viel gegessen und zu viel gesessen haben.
Dass Weihnachten in Großbritannien anders ist, merkte ich am 24. Dezember 2003. Da stand ich zur Zeit der Bescherung am Brent Cross im Stau.
«Ihr Ungläubigen», fluchte ich laut in meinem Auto – selbstbewusst, weil mich keiner hören konnte. «Ihr Engländer immer mit euren Traditionen, ständig höre ich von euch: ‹Das tut man nicht, das macht man so›, und dann fahrt ihr alle am 24. Dezember ins Einkaufszentrum zum Shoppen!»
Der 24. Dezember ist in Großbritannien ein ganz normaler Arbeitstag, mal davon abgesehen, dass die Leute spätnachmittags in die Geschäfte fluten, um noch die Geschenke zu besorgen, und sich frühabends noch ein bisschen mehr als sonst betrinken. Gefeiert wird Weihnachten am 25. Dezember nachmittags im Kreise der Familie mit dem obligatorischen
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