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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Volz
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Match geschuldet waren. Die Ernährung im Profifußball hat sich mittlerweile allerdings etwas verändert, sieben Bier trinken Fußballer heute eher im Monat als an einem Abend, und so trugen zu meiner Zeit vielmehr sportliche Details dazu bei, wenn ein Spiel am Boxing Day mal wieder überemotional geriet. Zum Beispiel der Fakt, dass ich am Boxing Day 2007 an der White Hart Lane bei Tottenham Hotspur Innenverteidiger spielen musste. Das hatte ich noch nie getan. Die Dimensionen des Spielfelds, der Abstand zu den anderen Spielern, alles war anders als auf meiner angestammten Position am rechten Rand. Wir verloren 1:5, und ich sah zum einzigen Mal die Gelb-Rote Karte in meiner Karriere.
    Fußballprofis, die von Fans im Stadion beschimpft werden, sagen in Interviews gerne, dass sie während des Spiels sowieso nichts hören. Aber das ist natürlich nicht wahr. Die Atmosphäre nehme ich unterschwellig immer wahr, oftmals registriere ich sogar den Schrei eines Einzelnen aus dem Publikum. Ein Stadion an einem feuchten Dienstagabend im Februar hätte während einer 1:5-Niederlage altmodisch männlich geklungen, höhnisch und aggressiv. Das Stadion am Boxing Day dagegen behielt seinen festlichen Ton. Beim Weihnachtsfußball werden die Verlierer nicht geschmäht. Die Fans nahmen die heftige Niederlage als Teil des Weihnachtsspaßes, und spätestens als wir Spieler nach der Partie zu unseren Angehörigen in eine Stadionlounge gingen, wurden auch wir von der losgelösten Fröhlichkeit erfasst. Überall liefen Kinder herum, schon völlig high vom vielen Zucker. Ein Lächeln, unabhängig vom Resultat des Spiels, war in den Gesichtern der Zuschauer verblieben.
    Weihnachten war eine der schönsten Zeiten im Londoner Fußballkalender. Wir mussten kaum trainieren, weil alle zwei, drei Tage ein Spiel anstand, und im vierten Match in anderthalb Wochen wussten wir, Fehler würden uns nachgesehen; jeder verstand, dass die Müdigkeit ihren Tribut einforderte.
    Als ich 2010 nach elf Jahren mein erstes Weihnachten wieder in Deutschland verbrachte, überkam mich eine unerwartete Sehnsucht. Ich musste mit Anneke nach London fliegen. Fußball gehörte für mich inzwischen untrennbar zu Weihnachten dazu.
     
    Wenn ein neues Jahr beginnt, verschwinden in London die Wäscheleinen mit den Weihnachtskarten wieder aus den Wohnzimmern. Noch einmal wird ein – nun völlig nüchterner – Blick auf die Karten geworfen. Es wird Bilanz gezogen: Wer hat uns dieses Jahr nicht geschrieben? Nicht ohne Befriedigung wird dann notiert: Dem müssen wir also nächstes Jahr auch nicht mehr schreiben.

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Einundzwanzig Die andere Seite
    Ich wusch das Auto meines Trainers. Der Parkplatz in Fulhams Trainingszentrum Motspur Park schäumte, so viel Putzmittel verwendeten ich und die Jugendlichen vom
Prince’s Trust
. Ich hatte für sie einen besonderen Besuch bei meinem Klub organisiert. Sie sollten die Autos der Spieler waschen. Die Stiftung bemühte sich, die Heranwachsenden wieder ins Arbeitsleben zu integrieren, und ich dachte mir, es könnte helfen, wenn sie spürten, dass gemeinsam sogar harte Arbeit Spaß machen kann. Den Wagen des Trainers übernahm ich als Gruppenleiter persönlich. Er schob mich gerade zwischen Spielfeld und Ersatzbank hin und her, da konnte ich es mir nicht leisten, dass die Jugendlichen seinem Range Rover ein paar Kratzer versetzten. Am nächsten Tag stand das Auto des Trainers dann in der Zeitung.
    Seine Frau hatte einen Privatdetektiv beauftragt, Wanzen in dem Wagen zu installieren. Belinda Coleman wollte herausfinden, ob die Gerüchte von den Affären ihres Mannes stimmten. Ich überlegte, wie der Detektiv wohl die Schrubbgeräusche interpretierte, die ich mit Schwamm und Tuch gemacht hatte.
    Aber so richtig ließ sich über die Geschichte nicht mehr schmunzeln, noch nicht einmal grausame Scherze machen, für die englische Fußballteams doch solch eine Schwäche hatten. Es war April 2007, und der FC Fulham verlor seine Unschuld. Seit sieben Spieltagen hatten wir nicht mehr gewonnen; zum ersten Mal in vier Jahren waren wir ernsthaft in Abstiegsgefahr.
    Der Trainer tat sich schwer, mit dem Tief zurechtzukommen. Cookie hatte uns doch die Illusion geschenkt, dass Fußball ein leichtfüßiges Spiel und das Leben ein Spaß sein sollte. Er konnte uns Spielern nicht weh tun. Im Angesicht des Misserfolgs wechselte er die Aufstellung, jeder verstand es, aber Cookie brachte es kaum über sich, Spieler wie mich, die er doch

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