Unser Mann in London
mochte, mit denen er vier Jahre erfolgreich zusammengearbeitet hatte, auf die Ersatzbank zu setzen. «Du brauchst mal eine Pause», sagte er, um uns nicht zu sehr zu treffen. «Nur eine ganz kurze Auszeit, in zwei Wochen spielst du wieder, das verspreche ich dir.» So machte er sich zum Gefangenen seiner eigenen Versprechen: In zwei Wochen musste er die Elf schon wieder verändern, um sein Ehrenwort zu halten. Dem Spieler, den er nun aus dem Team nahm, versprach er natürlich auch eine baldige Rückkehr. So konnte sich keine konstante Elf finden. Und Konstanz, Einfachheit, ist das Wichtigste, wonach ein leidendes Team schreit.
Es gab – ein Lieblingswort des Profifußballs – eine Krisensitzung. Der Präsident kam. Wir saßen in der Umkleidekabine, viele Arme vor der Brust verschränkt, viele Blicke auf den Boden gerichtet, und warteten, ob Mohamed Al-Fayed uns nun im Stile von Churchill mit einer Blut-, Schweiß- und Tränen-Rede motivieren wollte oder in Grund und Boden schreien würde. Er marschierte in den Raum, lächelte etwas abwesend und sagte in gelangweilt verständnisvollem Ton, das werde schon wieder. «Hier, nehmt eine Viagra», er drückte uns seine Pfefferminzbonbons in die Hand, «oder halt, nein, nehmt lieber gleich zwei oder drei.»
Wir verloren auch gegen Manchester City 1:3, und am Tag danach, dem 10. April 2007, wurde Chris Cookie Coleman entlassen.
Mir war bis dahin allenfalls auf eine sehr theoretische Art bewusst gewesen, dass der Profifußball auch eine andere Seite hat. Dieser Beruf, den doch alle für einen Traumjob halten, macht etliche seiner Protagonisten zwangsweise unglücklich. Jedes Wochenende muss es Verlierer geben, jede Saison Absteiger. Jeder Klub muss Ersatzspieler haben und Spieler, die es nicht einmal auf die Ersatzbank schaffen. In jeder Partie verletzen sich Fußballer, jeden Sommer werden Profis von ihrem Klub weggeschickt und erhalten nur noch in einer tieferen Liga einen Vertrag oder gar keinen mehr. Und den wenigsten Fußballprofis gelingt es zu realisieren, dass diese Nackenschläge in der Natur des Sports liegen – viele Profis glauben, dass es ihre Schuld ist, wenn sie die andere Seite des Spiels kennenlernen. Sie haben doch den schönsten Beruf der Welt; sie müssen doch versagt haben, wenn sie darin nicht glücklich werden.
Wie fast alle jungen Spieler, die den Sprung in die Premier League schaffen, hatte ich Fußball lange Zeit als einen kontinuierlichen, scheinbar logischen Aufstieg kennengelernt. Ich sprang von einer Jugendnationalelf in die nächste, und als ich bei Arsenal, einem der größten Teams der Welt, den Weg in die erste Mannschaft nicht direkt schaffte, erschien mir das schon als ein Schlag, dabei wurde er unmittelbar aufgefangen, als ich beim FC Fulham zum Premier-League-Spieler wurde.
Nun, im Jahr nach Cookies Entlassung, dämmerte mir, dass die schöne Zeit im Profifußball für die überwiegende Mehrheit seiner Protagonisten immer nur von kurzer Dauer ist. Ich weiß nicht, ob irgendjemand mit 24 auf diese Erkenntnis wirklich vorbereitet sein kann.
London wurde eine andere Stadt. Anneke und ich gingen noch immer zu Konzerten in die Royal Albert Hall, ins Zuma, zu den Pubfußballern in den South Park, aber sosehr ich mich auch wehrte, es wurde schwierig, mir das Leben und den Blick auf meine Stadt nicht von der Melancholie des Berufs trüben zu lassen.
Lawrie Sanchez hieß Cookies Nachfolger. Er ließ süßliches Raumspray in den Umkleidekabinen versprühen, weil es bei uns stinken würde. In den Kabinengang hängte er handgeschriebene Plakate mit Botschaften wie «Soundso viel Prozent aller Tore fallen nach Ballverlust», und er brüllte, dass wir Spieler allein schuld an der misslichen Situation seien, wir mit unseren krummen Füßen hätten Cookie auf dem Gewissen. Am vorletzten Spieltag retteten wir uns vor dem Abstieg. Dann warf Sanchez fast ein Dutzend Spieler raus, holte ein Dutzend neue, die Saison 2007/2008 begann, und die Fans konstatierten: «Das Unmögliche ist wahr geworden: Ihr spielt unter Sanchez noch schlechter als zuletzt unter Cookie.»
Sechs Monate nach seinem Antritt wurde Sanchez auch schon wieder entlassen. Wir standen noch einen Platz schlechter als vor seinem ersten Spiel da: Viertletzter. Ich hatte unter ihm in der neuen Saison in 18 Spielen ganze 22 Minuten gespielt. Eine Schambeinentzündung machte mir nicht weniger als der Trainer zu schaffen.
Die schönen Zeiten sind in Fulham
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